Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
erwartet hatte, leistete Ludwig sogleich den Treueid.
Noch von unterwegs befahl der neue Herr, die Aachener Pfalz, wo der amtierende Klerus nebst Prostituierten unter dem hl. Karl einem wohl zu unbeherrschten Genuß gefrönt (IV 502. f.), von unwürdigen Elementen zu säubern und einige, »welche sich durch besonders greuliche Unzucht und hochmütige Hoffart des Majestätsverbrechens schuldig gemacht hätten, sorgsam bis zu seiner Ankunft in Gewahrsam zu halten«.
Angeblich befand sich ein Gesindel von »Huren, Dieben, Todtschlägern und anderen Verbrechern« (Simson) am Hof und in den umliegenden Dörfern. Ein Bote Ludwigs, Graf Warnar, wurde bei dieser Hygienemaßnahme in Aachen getötet, sein Neffe Lambert schwer verletzt; ihr Gegner Hoduin kam um. Der fromme, gelegentlich jedoch jähzornige Monarch, der »gegen andere stets gütige Kaiser«, ließ darauf seinerseits einem schon »beinah« Begnadigten, Tullius, in seiner »Mildherzigkeit« (clementia), so beteuert der Astronomus, bloß die Augen ausreißen. 16
Und noch bevor Ludwig in Aachen einzog, räumte man dort einige Personen als »Hochverräter« aus dem Weg. Gerade solche, die an Karls Hof zuletzt bedeutenden Einfluß hatten, verschwanden schnell, wie die Kinder Bernhards, eines Bruders von König Pippin. Karls Stiefvetter Adalhard, Abt von Corbie an der Somme (IV 499), seinerzeit schon ein Greis, landete, ohne Verhör und Gericht abgesetzt und seiner Güter beraubt, im Kloster St-Filibert auf der abgelegenen Atlantikinsel Heri an der aquitanischen Küste, seine Schwester Gundrada, die Freundin Alkuins, seinerseits Abt von einem halben Dutzend Klöstern, in einem Nonnenhaus in Poitiers. Gleich von selbst eilte ihr Bruder, Graf Wala, Ludwigs Zorn zuvorkommend, ins Kloster Corbie, aus dem der Kaiser den dritten, dort als einfacher Mönch lebenden jüngsten Bruder Bernar in das Kloster Lérins auf einer Insel an der Küste der Provence verwies.
Auch Karls I. heißbegehrte Töchter, Ludwigs vielumschwärmte leibliche Schwestern Bertha und Gisla, deren lockeres Liebesleben, »der einzige Flecken« am kaiserlichen Hof, den Frommen »schon lang« genervt, wurden nun in diverse Klöster gesteckt – strikt entgegen der väterlichen Verfügung, sie zwischen Ehe und Schleier wählen zu lassen; strikt auch wider Ludwigs eidliches Gelöbnis von 813, gegenüber Schwestern und Brüdern, den Neffen sowie allen übrigen Verwandten »immer unwandelbare Barmherzigkeit zu üben«. Doch die Entfernung der (später kaum noch erwähnten) Schwestern aus der Pfalz – wohin ist unbekannt – gehörte zu Ludwigs ersten Regierungsmaßnahmen. Und vermutlich diente ihr »unmoralischer« Lebenswandel dem Neuling in Aachen überhaupt nur als Vorwand. In Wirklichkeit fürchtete er wohl mehr ihre Einmischung, Aufsässigkeit, die Vertrautheit mit den seit langem die Staatsgeschäfte führenden Beamten, fürchtete er, sie könnten besser mit der Macht umgehen als er selbst.
Während aber der Kaiser so im Familienkreis nicht immer schonend verfuhr, auch nicht mit näheren Verwandten – die Halbbrüder Drogo, Hugo, Theoderich, seines hl. Vaters »Bastarde« von dessen Kebsen Regina und Adallindis zunächst einmal beiseite –, nahm er sich der eigenen Nachkommen doch recht fürsorglich an. Die schon erwachsenen Söhne Lothar und Pippin machte er zu Unterkönigen in Bayern und Aquitanien, seinen illegitimen Sprößling Arnulf zum Grafen von Sens, seinen Schwiegersohn aus der Familie der Gerhardiner, den seit etwa 806 mit der gleichfalls vorehelichen Tochter Alpais verbundenen Bego von Toulouse, zum Grafen von Paris.
Bevorzugt wurden später auch die Welfen, die Verwandten der ehrgeizigen Kaiserin Judith, seiner zweiten Gattin. Ihre Mutter Heilwig bekam die vornehme Königsabtei Chelles geschenkt, ihr Bruder Rudolf die Klöster Saint-Riquier und Jumièges, ihr Bruder Konrad, der als Magnat in Alemannien aufstieg, erhielt Sankt Gallen und zudem als Ehefrau Adelheid, die Tochter des Grafen Hugo von Tours, Ludwigs Schwiegervater. 17
Kaum war der Monarch in der Aachener Pfalz, da übernahm er nicht nur »alle Reiche, welche Gott seinem Vater gegeben« – schön gesagt von einem Großräuber der Weltgeschichte –, sondern er ließ sich, wie verständlich, so Chorbischof Thegan, »vor allem mit großer Eile alle Schätze des Vaters in Gold und Silber, wertvollen Edelsteinen« etc. zeigen – und schickte »den größten Teil des Schatzes« natürlich »nach Rom zur Zeit des seligen Papstes
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