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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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machen, ja, die »Civitas Dei« auf Erden herzustellen: Ein Gott, eine Kirche, ein Kaiser, dessen Amt immer mehr als ein von Gott verliehenes Amt innerhalb der Kirche galt.
    Die Prälaten waren deshalb stark an der Einheit des Reiches interessiert, und gerade ihre Führer verfochten den Gedanken dieser Einheit leidenschaftlich. Dabei ging es ihnen keinesfalls in erster Linie um das Reich, sondern um die Kirche, hatten sie nicht dessen, sondern deren Vorteil im Auge. Denn das Teilungsprinzip, in der Staats- und Rechtsanschauung tief verwurzelt, führte bei konsequenter Anwendung zu immer mehr Teilreichen, je mehr erbberechtigte Söhne ein Herrscher hinterließ, und folglich auch zu immer kleineren Teilreichen, das heißt zu immer größerer Zersplitterung. Mit der Zerreißung des staatlichen Verbands aber zerriß auch der kirchliche, kamen die zahlreichen, oft weit zerstreuten Ländereien von Kirchen und Klöstern unter die verschiedensten Herren, wurde das Kirchengut schwerer verwaltbar, schwerer kontrollierbar, und es konnte leichter und schneller, zumal in Krisenzeiten, konfisziert werden. Kurz, für niemand waren die Nachteile der Zersplitterung und die Vorteile der Einheit des Reiches größer als für die Bischöfe.
    Betraf ja auch Benedikts Klosterreform, sein »Prinzip der una regula«, nicht nur das Mönchsleben, sogenannte geistliche Dinge. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger, war das Kirchengut. Der Kaiser wollte es weder teilen noch mindern lassen, auch unter seinen Nachfolgern nicht. Allerdings verbot er auch die schon längst florierende Seelenfängerei, das Locken von Kindern, von Männer und Frauen ins Kloster, um an ihr Vermögen zu kommen; verbot somit ein seit der Antike (vgl. III 475 ff. bes. 502 ff.) und soweit möglich noch heute hochbeliebtes Geschäft, Verwandte zugunsten von Kirchen zu enterben. 22
    Wohl den größten Einfluß auf den Kaiser bekam neben dem bisherigen aquitanischen Kanzler, dem Presbyter und Abt Helisachar, und neben Abt Benedikt von Aniane, zumal seit 819, Hilduin, Abt von St-Denis, St-Médard in Soissons, St-Germain-des-Près in Paris (einem Kloster, dem damals allein in der näheren und weiteren Umgebung mehr als 75000 Hektar Land gehörten!). Abt Hilduin leitete nach dem Tod des Erzkapellans und Erzbischofs Hildebald von Köln die Hofkapelle, die Hofgeistlichkeit und setzte allmählich den Titel »Erzkapellan« (archicapellanus) durch. Beim ersten Aufstand gegen Ludwig 830 freilich wechselte Abt Hilduin, wie Abt Helisachar, ins Lager der kaiserlichen Feinde, wo sich u.a. auch der Führer des gallischen Episkopats, Erzbischof Agobard von Lyon, einfand, der große Judenfeind, der gerade unter Ludwig besonders hervorgetreten war. 23

Die Ordinatio imperii (817) und die Ironie der Geschichte

    Die grundlegende, auf der von weltlichen und geistlichen Großen stark besuchten Aachener Reichsversammlung im Juli 817 vorgenommene und durch dreitägiges Fasten, Beten, Messelesen eingeleitete Verfassungsänderung verfügte die unteilbare Einheit der Herrschaft im Frankenreich. Das neue Thronfolgegesetz, die Ordinatio imperii, ersetzte die Divisio regnorum, das Reichsteilungsgesetz und die Nachfolgeordnung Karls I. vom 6. Februar 806 (die – gemäß dem fränkischen Erbrecht – die Teilung des Reichs unter alle Kaisersöhne vorsah) und ordnete, neu in der fränkischen Geschichte und entgegen dem bisherigen Brauch der Reichsteilungen, dem traditionell gleichen Erbrecht aller legitimen Königssöhne, ordnete jetzt der Unitas ecclesiae die Unitas imperii zu und verdammte jede Spaltung als Verbrechen am Corpus Christi. Uralte Thronfolgeordnungen, Rechtsprinzipien wurden damit umgestoßen, nicht zuletzt im Interesse der Kirche, ja »vornehmlich von Kreisen der hohen Geistlichkeit« (Schieffer).
    Die ganze Sache hatte man natürlich im engsten Zirkel genau beredet. Doch da das alles tiefeingewurzelten Rechtsanschauungen widersprach, da es neu war, war es auch, »wie stets in solchen Fällen«, sagt Bernhard Simson, notwendig, »das neue Recht, welches man schaffen wollte, mit einer religiösen Weihe, mit dem Schein göttlicher Eingebung und Vorsehung, zu umkleiden«. In wohlgeübter Heuchelei gab man also vor, durch drei Tage lange allgemeine Fasten, durch Beten, Messelesen etc. den Willen des Allerhöchsten zu erforschen, und anschließend verkündete der fromme Fürst, was längst beschlossene Sache und hauptsächlich »das heilige Interesse der Kirche« war, als plötzliche

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