Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
mit dem Werk des Militärschriftstellers Vegetius über die Kriegskunst beschenkt (womit der Christ bereits um 400 dem Verfall des römischen Militärwesens entgegenwirken wollte!), Karl war persönlich alles andere als mutig, liebte es schon gar nicht, selbst zu kämpfen, neigte aber zur Grausamkeit.
Das veranschaulicht auch sein Vorgehen gegen Karlmann. Er hatte den Prinzen, der viele Sympathien genoß, aus politischen Rücksichten in den geistlichen Stand gesteckt, genauer, ihn, wie den gelähmten Lothar, noch sehr jung zum Mönch scheren lassen, worauf er immerhin nacheinander Abt von Saint-Médard, Saint-Germain-d'Auxerre, Saint-Amand, Saint-Riquier, Saint-Pierre de Lobbes und Saint-Aroul geworden ist.
Im Auftrag des Königs zog Abt Karlmann 868 an der Spitze eines Heeres gegen die Normannen, empörte sich aber 870/872 gegen den Vater, wurde in Senlis eingekerkert und 873, aufgrund einer Klageschrift des Regenten, durch eine dort versammelte Synode jeder geistlichen »Würde« beraubt. Es soll ihm nur willkommen gewesen sein, zumal es ihm wieder Thronaussichten eröffnete – zugleich dem Vater jedoch die Möglichkeit, den Sohn noch strenger zu bestrafen. Als darum dessen Parteigänger seine Befreiung und Erhebung zum König vorbereiteten, stellte ihn Vater Karl abermals vor Gericht und ließ ihm die Augen ausstechen, »damit die wahnwitzige Hoffnung der Friedensstörer auf ihn vereitelt werde und die Kirche Gottes und die Christenheit im Reich außer der Befeindung durch die Heiden nicht auch durch einen verruchten Aufstand in Verwirrung gebracht werden könne«. Noch im selben Jahr vermochte der Blinde aus Corbie zu seinem ostfränkischen Onkel Ludwig dem Deutschen zu fliehen, der ihm das Kloster Echternach gab, als dessen Laienabt er einige Jahre später starb. 22
Karl II. der Kahle konnte sich lange bloß schwer behaupten. Nicht nur geriet er durch die Agitationen der Mutter für seine Ausstattung in beträchtliche Krisen. Auch Mißverhältnisse im eigenen, geographisch, ethnisch und geschichtlich sehr unterschiedlichen Reich setzten ihm zu; Spannungen im Süden, mit den spanisch-septimanischen Goten, den Basken, und Schwierigkeiten mit dem fränkischen Norden. Auch gewann er anfangs viele Magnaten nicht, da sie sich lieber Lothar anschlossen. Erst nach dessen Niederlage bei Fontenoy konnte er langsam seine Position verbessern. 23
In die gefährlichsten Konflikte aber stürzten Karl die selbstbewußten Bretonen sowie die Ansprüche seines Neffen Pippins II. auf Aquitanien.
Mord und Totschlag in der Bretagne
Die Bretagne wurde von den Franken spätestens seit Pippin III. dem Jüngeren (wohl schon 753) und seinem Sohn Karl »dem Großen« durch Einfälle 786, 799 und 811 heimgesucht; ebenso wieder durch Karls Sohn Ludwig den Frommen 818, 824 und 830. Auch dessen Sohn Ludwig der Deutsche war bei dem Bretonenfeldzug 824 dabei. Ab bove majori discit arare minor – ausnahmsweise deutsch höflicher: Wie die Alten sungen ...
Gelegentlichen Unterwerfungen der Bretonen folgten stets neue Erhebungen und Abfälle. Doch als Ludwig 831 auf dem Hoftag von Ingelheim den Bretonenfürsten Nominoë (831–851) als »missus imperatoris« in der Bretagne einsetzte, wahrte dieser die Loyalität. Erst seit dort unter Karl dem Kahlen verschiedene karolingische Magnaten zu expandieren versuchten, kam es mit diesen und dann auch dem König zu militärischen Konfrontationen, wobei Nominoë sein Land indes völlig verselbständigte und sich von dem Metropoliten in Dol, den er selbst eingesetzt, wahrscheinlich 850 zum König salben ließ – der erste von den Franken faktisch nie unterworfene König der Bretagne. Zwar erkannte er die Oberherrschaft des weit entfernten Kaisers, Lothars I., an, doch Karls des Kahlen Ansprüche nicht.
Aber Nominoë starb schon im nächsten Jahr plötzlich auf einem seiner Kriegszüge. Den einzigen Sohn und Nachfolger Erispoë (851–857) glaubte Karl rasch ausschalten zu können. Doch Erispoë, der die Franken bereits 843 bei Messac geschlagen, vernichtete jetzt deren Heer – auch »unzählige Pferde gingen zu Grunde« – noch vor der Überquerung des Grenzflusses in der dreitägigen Schlacht von Jengland-Beslé (im Anjou) vom 22. bis 24. August 851. Karl selbst verließ dabei, schon am zweiten Schlachttag Hals über Kopf fliehend, seine Truppe, so daß auch diese danach »an nichts anderes mehr als an Flucht« dachte – und die Bretonen »hauen jeden, auf den sie stießen, entweder mit dem
Weitere Kostenlose Bücher