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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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überragende Papsthistoriker (gest. am 24. 12. 1947) brandmarkt sie als »den größten Betrug der Weltgeschichte«.
    Noch im 9. Jahrhundert hat Hinkmar von Reims die Fälschung geahnt, vielleicht erkannt, doch, von einzelnen Stücken abgesehen, nicht aufgedeckt. Schließlich fälschte der ehrwürdige Reimser Erzbischof – der als einer der wichtigsten Berater der westfränkischen Könige, besonders Karls des Kahlen, nicht nur politisch eine bedeutende Rolle spielte, sondern dem wir auch ein reges literarisches Schaffen verdanken, darunter »vor allem materialreiche Rechtsgutachten« (Schieffer) –, schließlich fälschte der Kirchenfürst mit hoher Virtuosität selber fast am laufenden Band. Und dies sogar mit scheinbarer Berechtigung, wollte er doch nicht das Opfer anderer kirchlicher Fälschungen, nicht zuletzt der Pseudo-Isidorien sein.
    Und gefälscht wurde rundum. Auch Hinkmars Vorgänger, Erzbischof Ebo (gest. 851), fälschte. Auch Hinkmars Neffe, der an seinem Hof erzogene und von dem Onkel zunächst geförderte Hinkmar der Jüngere, Bischof von Laon. Er hat sogar als erster pseudoisidorische Fälschungen in größerem Umfang vertreten und stand wahrscheinlich mit der Fälscherwerkstatt in Verbindung. So beschwor er einen scharfen Streit mit seinem Onkel und Karl dem Kahlen herauf und wurde 871 abgesetzt, sieben Jahre später jedoch teilweise rehabilitiert.
    Trotz frühzeitiger Bezweiflung der Echtheit des kolossalen katholischen Betrugs (bereits im 9. Jahrhundert; im 14. durch den als »Ketzer« verurteilten Staatstheoretiker Marsilius von Padua), galt der Schwindel im ganzen Mittelalter als echt, gelang der früheste grundlegende Nachweis der Fälschung erst 1559 den Magdeburger Centuriatoren in deren erster, von den evangelischen Fürsten finanzierten protestantischen Kirchengeschichte (1559–1574). Endgültig entlarvte die Unechtheit der reformierte Theologe (und spätere Professor für Geschichte in Amsterdam) David Blondel 1628. Wie kein anderer vor dem 19. Jahrhundert unterschied er mit bewundernswertem Scharfsinn das Echte vom Falschen, obwohl sich auch seinerzeit noch fromme Verteidiger der Fälschung fanden.
    Überhaupt taten auch nach deren Aufdeckung im 16. Jahrhundert die Katholiken häufig noch lange alles, um sie zu verharmlosen, schönzufärben, fast zu feiern. Sie sprachen von »Legende«, »Dichtung« oder, wie Kardinal Bona (gest. 1674), gewohnt »den höhern Zweck der Wissenschaft im Auge zu behalten« (Mast), von »frommem Betrug«. Eine »Fraus pia« war es auch noch für den berühmten katholischen Theologen Johann Adam Möhler (gest. 1838). Er pries Pseudoisidor geradezu als »sehr frommen, innig gläubigen, tugendhaften, um das Wohl der Kirche aufrichtig besorgten Mann«. Und auch für Möhlers Kollegen Roßhirt ist Pseudoisidor im Jahre 1849 gar nicht im eigentlichen Sinn Fälscher, sondern »ein Liebhaber des Kirchenrechts«, dessen ungeheure Täuschungen überhaupt keinen anderen Zweck hatten »als einen gelehrten, wissenschaftlich historischen, nämlich die größtmöglichste Vollständigkeit einer Sammlung von Kirchenrechtsquellen«.
    Katholik Luden weiß zwar, daß diese Sammlung »voll ist von Lug und Trug«, doch gelte das bloß im Hinblick auf frühere Zeiten. Für das 9. Jahrhundert, in dem sie entstand, enthalte sie selbst in ihren Fälschungen »meistens eine Wahrheit«. Sie habe kein neues Kirchenrecht gegründet, sondern nur ausgesprochen, »was schon in den Seelen der Menschen gegründet war«, habe ihnen »eine Richtung gegeben ... und den Weg zum Ziel abgekürzt. Es ist aber die vollendete päpstliche Herrschaft, wohin sie will ...« Und die vollendete päpstliche Herrschaft ist natürlich immer etwas Gutes, ganz gleich, wie sie zustandekommt. Und wofür. Wilhelm Neuss meint denn auch noch 1946 von den gelehrten Gaunern, daß »deren Absichten offenbar gut waren«. Wieder andere Katholiken unterschieden, in der für sie bezeichnenden Art, zwischen dem »edlen« und dem »gemeinen« Fälscher; wobei edel stets der ist, der für die Kirche, gemein der, der außerhalb von ihr oder gar gegen sie fälscht. Neuerdings freilich bezeichnet sogar Jesuit Grotz die pseudoisidorischen Dekretalen als »die größte Gesetzesfälschung der Geschichte«. Denn inzwischen sprach es sich wirklich herum ... 10
    Die Pseudo-Isidorien entstanden um 850 (nicht vor 847 und nicht nach 852) im Westfränkischen Reich, vielleicht in Sens oder Tours, wahrscheinlich im Erzbistum Reims. Man

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