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Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Descher
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Erzbischöfe von Köln und Trier aber verfluchten jetzt ihrerseits Nikolaus I., »der sich Papst nennt, als Apostel zu den Aposteln zählt und sich zum Kaiser der ganzen Welt machen möchte«. Sie warfen ihm »Aufgeblasenheit« vor, »Verschlagenheit«, »tyrannisches Wüten«, »Wahnwitz«, auch »bei verschlossenen Türen eine Art Räubersynode«, die einen »verfluchten Urteilsspruch« hervorgebracht habe, »ein verfluchtes, nichtiges Machwerk«. Und da Nikolaus die Annahme ihres eigenen verweigerte, deponierten sie nun durch Gunthars Bruder, den vom Papst abgesetzten Bischof Hilduin von Cambray, und einen Schwarm Bewaffneter auf dem Grab St. Peters diese erstaunlich dreiste Anklageschrift, »teuflische und bisher unerhörte Kapitel« (Hinkmar), beginnend mit: »Höre, Herr Papst Nikolaus ...«, wobei sie einen der Grabwächter erschlugen und mit gezückten Schwertern sich den Rückzug bahnten. 28
    Später freilich wurden die zwei Aufmüpfigen sehr viel kleinlauter und starben, sich wieder und wieder vergeblich um ihre Restitution bemühend, als Verbannte in Italien, Thietgaud 868, Gunthar 871.
    Papst Nikolaus aber, dem die beiden Bischöfe ja gar nicht so falsch angekreidet, er spiele sich als Kaiser der ganzen Welt auf, stachelte – unbeeindruckt durch Römer 13 – die fränkischen Prälaten zum Ungehorsam gegen ihren König auf. Er proklamierte, worauf das katholische Mittelalter noch gern zurückkam, das Widerstandsrecht gegen unbequeme Herrscher, gegen Lasterhafte und Tyrannen. Er exkommunizierte 866 Waldrada »in göttlichem Eifer«, so die Fuldaer Jahrbücher, »samt allen ihren Mitschuldigen, Teilnehmern und Gönnern«, drohte Lothar gleichfalls mit dem Bann und lehnte das Scheidungsersuchen der aufs äußerste eingeschüchterten Theutberga ebenso wie ihren ersehnten Klostereintritt ab – es sei denn, der König verpflichte sich gleichfalls zum Zölibat! »Weil du deinen leiblichen Trieben nachgabst und der Wollust die Zügel schießen ließest«, schrieb ihm der Papst einmal, »bist du in einen See von Armseligkeit geraten und liegst in einem Unflat von Kot.« Dies spiegelt beiläufig ziemlich genau jene von der Kirche durch die Jahrhunderte gepredigte Sexualmoral, die Roberto Zapperi auf die kurze Formel brachte: »Alles, was mit der Sexualität zusammenhängt, ist schmutzig«.
    Da die Dinge für Lothar sich stets schlechter gestalteten, griffen seine Onkel jetzt nach der längst belauerten Beute. Zwar war der allein berechtigte Erbe Lothars Bruder, Kaiser Ludwig – von Lothar noch kurz vor seinem Tod in Benevent besucht. Doch Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche schlossen im Mai 867 an der Grabstätte Ludwigs des Frommen, dem Kloster St. Arnulf von Metz, einen ungewöhnlich schamlosen »Teilungsvertrag« über Lothars Land. Im Beisein mehrerer Erzbischöfe und Bischöfe aus dem West- wie Ostreich erkannten sie sich – übrigens auf dem Territorium des Opfers – den zu erwartenden Zuwachs »in wahrer Brüderlichkeit« zu gleichen Teilen zu; und natürlich versprachen sie auch der römischen Kirche Schutz und Schirm. Lothar aber, dessen Reich seinen beiden Onkeln zuzufallen drohte, erneuerte darauf sogleich mit Ludwig dem Deutschen in Frankfurt ein älteres Sonderbündnis, das sich für Ludwig auszuzahlen schien, denn er suchte sofort beim Papst zu vermitteln, fand Beistand auch bei den eigenen Bischöfen, die ihn sogar als Kriegsheld feierten, weil er gerade die Normannen vertrieben hatte.
    Doch Papst Nikolaus blieb hart. Noch von seinem Krankenbett, zwei Wochen vor seinem Tod, schickte er unerbittliche Schreiben in den Norden und starb am 13. November 867 »nach vielen Mühen für Christus ...« 29
    Seine Haltung, die der Kirchenlehre entsprach, trug Nikolaus seither hohen Ruhm ein. Beiseite freilich, daß zum Beispiel kein Papst und kein Bischof protestierten, als Karl »der Große« seine Ehe löste und eine neue schloß, so gaben für Nikolaus' Vorgehen offensichtlich brisante politische Gründe den Ausschlag. Denn da er von Karl dem Kahlen mehr für die eigene Macht erhoffte, wechselte er die Fronten, ging er von Kaiser Ludwig II. zu Karl über, wurde er, mit der Sprache späterer Zeiten gesagt, aus einem kaiserlichen ein französischer Papst. Er machte dem Westfranken Aussichten auf die Kaiserwürde, er begünstigte bewußt dessen Pläne auf die Erbschaft des Neffen, ja »er zeigte Karl die Möglichkeit, unter Umständen schon bei Lothars Lebzeiten die Hand auf sein Reich zu legen«

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