Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
erlaubt, daß er den Usurpationsplan »von Anfang an unterstützt«, den Überfall »maßgeblich« geleitet hat (Reinhardt).
In Attigny forderten einige lotharingische Bischöfe und Große Karl zwar auf, die Grenze nicht zu überschreiten. Eine andre Gesandtschaft aber lud ihn ein, möglichst rasch nach Metz zu kommen, wo Adventius Bischof war, der nun ebenso beflissen für Karl agierte wie bisher für Lothar. Bedenkenlos rückte der Aggressor vor. In Verdun huldigten ihm der Ortsbischof nebst dem von Toul, in Metz weitere Prälaten. Und am 9. September 869 feierte dort Adventius in der Stephanskirche den Herrn Karl als von Gott erkorenen Nachfolger und rechtmäßigen Erben. Adventius wurde nicht müde, das Zauberwort Gott zu wiederholen, den Retter in der Not, um allen klar zu machen, daß es hier um nichts als um Gottes Willen ging, den anwesenden Herrn Karl, den rechtmäßigen Erben, den Gott selbst zu ihrem Heil erwählt, nun zu ihrem König und Fürsten zu machen. Und wie das Metzer Oberhaupt, so viele andere Seelenhirten.
Eine »Komödie der Rechtfertigung« nennt es Engelbert Mühlbacher. »Die Bischöfe, welche noch vor Jahresfrist so feierlich ihren Patriotismus gegen die westfränkischen Aneignungsgelüste bekundet hatten, zauderten jetzt keinen Augenblick, dem Rechtsbruch gegenüber dem Neffen, dem Vertragsbruch gegenüber dem Bruder die kirchliche Weihe zu leihen. Unwahrheit und Heuchelei, die sich nicht scheute, selbst den Namen Gottes in ihr Getriebe hineinzuzerren, umhüllten den eigennützigen Zweck. Woher nahmen sie, noch dazu eine Minderheit, das Recht, über ein Reich, dessen Besitz an die Erbfolge gebunden war, zu verfügen, in einem Reich, das nur ein Erbkönigtum kannte, einen fremden König zu bestellen? Taten sie anders als die westfränkischen Großen, da sie den deutschen König in ihr Land riefen? War Karl nicht ebenso Usurpator als bei seinem Angriff auf das Westreich der deutsche König, den Hinkmar von Reims und zum Teil dieselben Bischöfe nicht scharf genug verurteilen, nicht tief genug demütigen zu können glaubten?«
Karl insistierte seinerseits auf seiner göttlichen Erwähltheit, betonte auch den allgemeinen Konsens der Geistlichen und Großen, versprach, Ehre und Würde der Kirche zu wahren, auch alles mögliche sonst zu schätzen und zu schützen – das bei derlei Gelegenheiten stets Abzuleiernde. Daß auch Erzbischof Hinkmar beteuerte, König Karl sei unter Gottes Führung nach Metz gekommen, versteht sich von selbst. Worauf man »Großer Gott, wir loben Dich« anstimmte und der königliche Räuber zu seinem Heil (und Sieg) jeden Bischof ein Gebetlein sagen und sich salben, krönen ließ, um gleich danach in den Ardennen beim »edlen« Weidwerk auszuspannen, für neue Taten fit zu werden.
Zum Beispiel – da gerade am 6. Oktober in St. Denis seine Frau Irmintrud, die Mutter von acht Kindern, verschieden war – für die Begegnung mit seiner jugendlichen Konkubine Richildis, einer Verwandten Lothars II. Ihr Bruder, Graf Boso, hatte sie schleunigst zu liefern und bekam für diesen Liebesdienst die Abtei St. Maurice nebst weiteren Lehen. Der katholische Fürst aber feierte, noch keine Woche Witwer, kaum drei Tage nach seiner Benachrichtigung vom Tod der Gattin, am 12. Oktober seine »Vereinigung« mit Richildis – während gleichzeitig die Normannen, die schon an der Loire siedelten, Le Mans und Tours nach allen Regeln der Kriegskunst brandschatzten. 34
Die Bischöfe hatten Karls Usurpation ungezähltemale auf das Wirken Gottes bezogen, hatten den Landraub geradezu als Gottes Werk erklärt. Papst Hadrian II. dagegen mühte sich, die Thronfolge Ludwig II. zu verschaffen, seinem »geliebten geistlichen Sohn«, von Abt Regino nicht nur »fromm« genannt, sondern auch »ein Beschützer der Kirchen« und »voll demütiger Unterwürfigkeit gegen die Diener Gottes«, was da stets mehr zieht als alles. Zudem dieser Kaiser, zu seinem Schaden selbstverständlich, die immer mehr anstürmenden Sarazenen bekriegte, besiegte und damit ja auch durchaus nicht aufhören sollte, um etwa im Norden sein Erbe zu sichern. Ergo bedrohte der Heilige Vater alle, besonders aber die Bischöfe, die sich gegen seinen Schützling stellten und an dessen Erbrechten vergriffen, mit dem Kirchenbann; wie Ungläubige und Tyrannen wollte er sie behandeln. Doch niemand scherte sich um das Gezeter des Römers, und der Kaiser selbst war weit und, wie gesagt, beschäftigt.
Erst recht kümmerten natürlich Karl
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