Kriminalgeschichte des Christentums Band 05 - Das 9 und 10 Jahrhundert
(Haller). Zwar hatte Karl der Kahle, bestochen von Lothar durch Abtretung der reichen Abtei St. Vaast, vorübergehend die Seite getauscht, kehrte aber rasch wieder auf die des Papstes zurück. 30
Zu bedenken ist auch folgendes.
Die Ehe hatte seinerzeit noch längst nicht den künftigen kirchlichen Stellenwert. Der katholische Moraltheologe Bernhard Häring sieht zwar im III. Band seiner Moraltheologie »Das Gesetz Christi« auf nur einem Blatt gleich wiederholt die Ehe schon »im Paradies gestiftet«, bleibt uns aber beim Hinweis auf »die Erhebung der Ehe zum Sakrament« durch Christus auch einen biblischen Quellenbeleg schuldig. Tatsächlich nämlich hatte man die Monogamie aus dem Heidentum übernommen – wie ja alles, was man nicht von den Juden stahl! – und sich um die Trauung jahrhundertelang nicht gekümmert. Selbst Nikolaus I. verlangte keine entsprechende kirchliche Zeremonie. Erst im Hochmittelalter erfolgt die Konsenserklärung der Eheleute vor dem Priester. Und erst im 16. Jahrhundert wird die Ehe ein reguläres Sakrament!
So wird es kaum überraschen, daß im Frankenreich die Bischöfe mit Eheproblemen juristisch nichts zu tun hatten und auch lange gar nicht sonderlich damit zu tun haben wollten. Als Ludwig der Fromme der Bischofssynode von Attigny (822) die Schlichtung eines Streites zwischen zwei Ehegatten zuwies, zuzuweisen suchte, übertrugen dies die Bischöfe den Laien, die gemäß weltlichem Gesetz entscheiden sollten! Nach Wilfried Hartmann war es im Frankenreich anscheinend noch um 860 selbstverständlich, »daß Ehestreitigkeiten vor ein weltliches Gericht gehören«. Erst im späteren 9. Jahrhundert urteilten die Prälaten in Fragen der Ehescheidung allein, hatten sie auch dieses Recht errungen. 31
Während Nikolaus I. noch in den letzten Zügen lag, wurde durch einen seiner Verwandten, den magister militum Sergius, der Kirchenschatz geplündert. Und Herzog Lambert von Spoleto und Fürst von Capua nutzte den Trauerfall, um Ende 867 in Rom Paläste, Kirchen, Klöster auszurauben und Adelstöchter zu entführen. Die Übergriffe, die Gewalttaten waren derart, daß viele aus der Stadt flohen.
Vom Familienidyll unter Papst Hadrian bis zum uneigennützigen Tod Kaiser Ludwigs II. »für die Sache Christi«
Nach dem Abtritt des Papstes hatte ein ungewöhnlich heftiger Wahlkampf, bestritten besonders von der kaiserlichen Partei und den mit ihr rivalisierenden »Nikolaiten«, dem Anhang des letzten Pontifex, mit Verhaftungen und Ausschreitungen aller Art begonnen; anscheinend auch wieder mit Ambitionen des früheren Gegenpapstes Anastasius. Im allgemeinen Drunter und Drüber entfernte und vernichtete er nicht nur ihn belastende Akten aus dem päpstlichen Archiv, sondern ließ auch einen persönlichen Feind, der in einer Kirche Zuflucht gesucht, blenden.
Schließlich kam ein verheirateter 75jähriger Priester auf den begehrten Thron. Hadrian II. (867–872), schon 855 und 858 als Papstkandidat genannt, war ein Sprößling des Bischofs Talarus von Minturno-Gaeta, von dessen Ruf er wohl zu profitieren schien. Überdies sagte man dem einäugigen Heiligen Vater, der auch hinkte, wunderbare Gebetserhörungen nach. Vor seiner Weihe hatte er ein Fräulein Stefania geehelicht, mit ihr eine Tochter unbekannten Namens, vielleicht auch Söhne, gezeugt und dann ein trautes Familienleben im Papstpalast geführt.
Jäh beendet wurde dies am 10. März 868, als einer der Söhne des Bischofs Arsenius, Eleutherius, der die bereits anderweitig verlobte Papsttochter zur Frau verlangte, diese samt Mutter Stefania, der Gattin des Heiligen Vaters, mitten in der Fastenzeit entführte und vergewaltigte. Nicht genug, als auf Hadrians Hilferuf Kaiser Ludwig einschritt, ermordete der enttäuschte Bischofssohn in seiner Wut beide Frauen und wurde seinerseits abgestochen. Bischof Arsenius, offenbar nicht unbeteiligt, flüchtete aus Rom und starb bald darauf. Den angeblichen Anstifter des Verbrechens, Gegenpapst Anastasius, den Bruder des Mörders, hatte Hadrian noch am 8. März 868 in einem Brief an Hinkmar von Reims, zwei Tage vor den oben berichteten Morden, seinen allerliebsten Anastasius genannt, in seine Priesterwürde wiedereingesetzt und zum Bibliothekar der Kirche gemacht. Nun setzte er ihn ohne Verhör, Zeugen, Verteidigung abermals als Kleriker ab und exkommunizierte ihn.
Ab- und Wiederaufstieg des Anastasius: Tod Lothars II. – ein »Gottesgericht«
Die Verurteilung des Kardinalpriesters Anastasius erfolgte
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