Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Kunde vom bevorstehenden Romzug Heinrichs bekam, rüstete er auch gegen ihn.
Er eilte selber nach Unteritalien, verpflichtete die apulischen Fürsten und Grafen eidlich zur Waffenhilfe, gleichfalls den römischen Adel, und rief beim Heranrücken des deutschen Heeres durch seine Boten im Norden und Süden zum Krieg für die Kirche auf.
Dann aber, angesichts der feindlichen Übermacht ringsum im Stich gelassen, wollte er doch weiterverhandeln. Und als Heinrich wieder einmal die Anerkennung des Investiturrechts forderte, reagierte der Papst mit einem spektakulären Vorschlag. Er war bereit, gegen den Investiturverzicht des Königs, gegen den Verzicht auf die Laieninvestitur, den deutschen Kirchenfürsten die Rückerstattung der Kronlehen, aller regalia, aller ihnen seit den Tagen Karls »des Großen« geschenkten Güter und Rechte, unter Androhung des Bannes zu gebieten. (Der Begriff »Regalien« umfaßte dabei Herzogs- und Grafenämter ebenso wie den gesamten Grundbesitz einschließlich von Städten, Burgen, Ritterschaften, auch solcher Rechte wie Münze, Markt und Zoll.) Ihre materiellen Bedürfnisse wollte die Kirche nur noch durch Zehnten und Oblationen, durch private Schenkungen bestreiten.
Die überraschende Offerte lief somit auf totale Trennung der seit Jahrhunderten fast unlösbar miteinander verquickten und versippten Institutionen Staat und Kirche hinaus. Der König, wiewohl anscheinend von der Irrealität des – theoretisch so plausiblen – Plans überzeugt, ging darauf ein. Am 12. Februar 1111 betrat er Rom, küßte dem vor St. Peter wartenden Paschalis II. den Fuß, worauf man während der Krönungsfeierlichkeiten die gemeinsamen Abmachungen, die königliche und die päpstliche Urkunde, verlesen ließ. Ein Proteststurm sondergleichen erfolgte. Von allen Seiten erscholl wütend Einspruch: der Hochadel, der hohe Klerus, die radikalen Gregorianer, alle waren aufs höchste erregt, alle befürchteten Einbußen an Macht, an Besitz, alle sahen ihre Positionen angetastet. Man schrie »Ketzerei« und »Kirchenraub«, wollte den Salier »ohne Umschweif gekrönt« sehen »wie Ludwig und Karl«. Prälaten drängten ihn, den Papst abzuführen. Und da Heinrich nach dem Scheitern des Projekts dennoch Krönung wie Investiturrecht forderte, Paschalis sich aber weigerte, verhaftete der junge König kurzerhand den Papst samt allen greifbaren Kardinälen.
Ein Staatsstreich von solcher Rabiatheit hatte sich in der Kirchengeschichte das letztemal vor beinah einem halben Jahrtausend abgespielt, als sich der byzantinische Statthalter Theodor Kalliopa Papst Martin I. am Altar der Lateranbasilika, wo sogar sein Bett stand, griff und ihn augenblicklich nach Konstantinopel verfrachtete (IV 342 ff.). Und weitere siebenhundert Jahre sollte es dauern, bis Napoleon Bonaparte, anscheinend in recht guter Kenntnis von Heinrichs V. Gewaltstreich, den kranken Pius VII. im Frühsommer 1812 in eine seiner Lieblingsresidenzen bei Paris bringen ließ, wo der Papst am 25. Januar 1813 das sogenannte Konkordat von Fontainebleau unterzeichnete, das er freilich zwei Monate später prompt widerrief. 10
Mutatis mutandis hatte der Salier das vorexerziert.
Ein kaum beschreiblicher Aufruhr erfaßte Rom, habgierig und raffgierig durchschwirrte man die Stadt, überall Plünderungen einschließlich der goldenen Kirchengefäße, der Ornate, überall Blutvergießen, Abstechung der Deutschen unter dem Sturmläuten der Glocken, den Agitationen des Klerus, der zum Widerstand rief. Beschwörend appellierte der Kardinal von Tusculum an die Römer, für ihre Freiheit, ihr Leben zu kämpfen – das sie dabei gerade verloren; und natürlich für die »Verteidigung der Kirche«. »Der heilige Vater, die Kardinäle, eure Brüder und Söhne schmachten in den Ketten des treulosen Feindes; tausend edle Bürger liegen tot hingestreckt im Porticus; die Basilika des Apostels, der ehrwürdige Dom der Christenheit starrt von Leichen und Blut.«
Der Tumult artete in eine die ganze Nacht durchdauernde Straßenschlacht aus. Auch der verspätet, doch noch »gerade rechtzeitig« in die Ewige Stadt kommende Kölner Erzbischof Friedrich I. griff »wirksam« (Schieffer) ein (bevor der wiederholt die Front wechselnde, deshalb dreimal suspendierte Prälat Heinrich V. ebenso verriet, wie er schon Heinrich IV., der den 25jährigen erst 1100 zum Erzbischof gemacht, verraten hatte). Der König wurde verwundet vom Pferd geschlagen, sein Lebensretter, Vizegraf Otto von Mailand, dafür
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