Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Temporalien umfaßten Güter und Rechte nicht direkt geistlichen Charakters, worauf dem Klerus aber nur ein Nutzungsrecht zustand, das er begreiflicherweise nicht gern aus der Hand gab.
Das Wormser Konkordat entschied somit über eine neue Ordnung bei der Besetzung der Bischofsstühle. Die Wahl der Bischöfe vollzog nun der Klerus; sie war prinzipiell seine Sache geworden. Da die Prälaten aber ihr bisheriges weltliches Amt nicht verloren, da sie Reichsfürsten, sogar mit zunehmendem Gewicht, blieben, ist klar, daß ihr an sich schon immenser Einfluß noch stieg.
Der deutsche Kaiser dagegen, der das Recht auf Investitur mit Ring und Kreuzstab, den Symbolen geistlicher Macht, verlor, durfte bei der Wahl der Bischöfe und Reichsäbte bloß noch anwesend sein und sie vor ihrer Weihe mit den Temporalia belehnen; allerdings auch nur in Deutschland, nicht in Burgund und Italien, was (für den Papst) entscheidend, freilich auch ein zukünftiger Zankapfel war. Denn preisgegeben hatte man damit nicht bloß das bisherige Reichskirchensystem, altes staatliches Gewohnheitsrecht, sondern vor allem auch den italienischen Episkopat und die Besetzung des wichtigsten, des römischen Bischofsstuhles. Er war jetzt dem Einfluß des Kaisers entzogen, seine Herrschaft über den Papst beseitigt, wenn auch genug Verstrickungsmöglichkeiten blieben.
Alles in allem hatte Calixt II. die Sache schlau eingefädelt. (Er besaß jede Art Erfahrung im Umgang mit Dokumenten: als Erzbischof von Vienne hatte er für sich den Primat in Gallien durch gefälschte Urkunden erstrebt!) Und in Worms beurkundete der Kaiser seinen Verzicht für die Apostel Petrus und Paulus und die katholische Kirche, der Papst sein Zugeständnis jedoch nur Heinrich V. persönlich. »Ich Calixt, gewähre Dir, Heinrich ...«, begann seine Gegenurkunde. Und tatsächlich betonten kuriale Kreise bald, daß die Konzessionen nur Heinrich gelten, nicht aber seinen Nachfolgern. Der fast fünfzigjährige Krieg, von dem man sagen konnte, er habe Deutschland (und Italien) nicht weniger verheert als der Dreißigjährige Krieg, war somit durch einen Sieg der Kirche beendet, und der Papst versäumte nicht, seinen Triumph durch ein Monumentalgemälde im Lateran verewigen zu lassen. 17
Calixt II. starb am 13. oder 14. Dezember 1124. Doch vergessen wir nicht, wie er seinen Gegenpapst Gregor VIII. – mit dem Lexikon für Theologie und Kirche zu sprechen – »besiegte«! Wie, das verschweigt das Lexikon allerdings ebenso vollständig wie die Tatsache, daß er als Erzbischof von Vienne den Primatialanspruch seines Sitzes gegen Arles mit gänzlich gefälschten Dokumenten betrieb. Und endlich verschweigt das kirchliche Lexikon, woran hier besonders erinnert sei, daß Calixt schon wenige Monate nach Beginn seines Pontifikats durch eine Synode von Toulouse am 8. Juli 1119 die Verurteilung der Petrobrusianer erreicht und damit »erstmalig« (Maleczek) die weltliche Gewalt zur Verfolgung der »Ketzerei« eingeschaltet hat: der »Häresie« des Petrus von Bruis, eines in absoluter Armut lebenden Priesters, der die theoretischen Reformansätze der Kirche mit aller Entschiedenheit praktisch verwirklichen wollte, dann aber auf dem Scheiterhaufen in St. Gilles verbrannt worden ist.
Seinen Sieg, blicken wir kurz zurück, hatte das Papsttum durch jahrzehntelange Kriege und Greuel erkauft, durch Lügen, Eidbrüche und Verrat.
Großgeworden im 11. Jahrhundert durch das deutsche Königtum, tat es alsbald alles, um sich dieses Königtum zu unterjochen. Im Verein mit den Fürsten inszenierte Gregor VII. den Bürgerkrieg in Deutschland und spaltete das Reich. In Italien operierte er mit den Truppen Mathildens, mit normannischen Heeren und eigenen Söldnern gegen den Kaiser. Dann verband Urban II., vor allem durch die von ihm betriebene perverse Ehe des siebzehnjährigen Welf V. und der 44jährigen Mathilde von Tuszien, die »Militärpaktehe« (Alfons Becker), die süddeutschen und italienischen Kaisergegner. Sein Klerus bewirkte die Rebellion Konrads gegen dessen Vater Heinrich IV. Durch den Ersten Kreuzzug mit mehr als einer Million Toten wurde die Macht des Papsttums, materiell und ideell, noch gestärkt, später auch Heinrich V. zum Papst herübergezogen und gegen den Vater geworfen. Der Sohn wurde vom Treueid entbunden, der Bürgerkrieg weiter entfacht, erst mit Heinrich V. gegen Heinrich IV, dann auch gegen Heinrich V. selbst. Verrat, Bestechung, Ausbeutung, Klassenhaß, Rebellion, Aufhetzung der
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