Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Stadt zu verwehren, ihn notfalls zu bekriegen. Doch dieser erkämpfte sich die Herrschaft, und der von päpstlichen Legaten ab- und ein- und abgesetzte Patriarch starb, von Papst Paschalis II. zuletzt noch einmal investiert, im Sommer 1107 in Messina auf der Reise nach Jerusalem. 12
Gleichwohl: die eigentliche Macht blieb in den Händen der Kirche – »die Ratschläge des lateinischen Patriarchen von Jerusalem waren im allgemeinen ausschlaggebend« (Atiya). Oder wie der arabische Historiker Ibn al Atir (gest. 1233) sagt: ihm gehorchen sie alle, »wie die Muslime dem Kalifen«. Einen weiteren Patriarchen gab es in Antiochia, außerdem acht Erzbistümer, sechzehn Bistümer und viele Klöster. 13
Wie sehr sich aber auch alles immer mehr befehdete, die Fürsten untereinander, die Fürsten die Kirche, die Kirche die Fürsten, wie katholische Herren sich auch mit den Moslems gegen katholische Konkurrenz alliierten und stets das Kaufmannsvolk fest mitgemischt hat, kurz, wie sehr gewisse allgemeine Zustände im christlichen Osten den westlichen glichen, zurück wollten viele nicht mehr. »Wir, die wir Abendländer waren, sind Orientalen geworden ... Wir haben schon unsere Geburtsorte vergessen.« »Denn wer dort arm war, wurde hier reich durch Gott«, liefert Kaplan Fulcher von Chartres prompt die Begründung, »und wer nicht einmal ein Dorf besessen, hat hier durch des Herren Gunst eine ganze Stadt.« 14
Gottfried von Bouillons Nachfolger wurde sein Bruder, der zunächst für die kirchliche Laufbahn bestimmte Balduin I. (1100–1118), der sich am 25. Dezember in der sogenannten Geburtskirche zu Bethlehem in Gegenwart der Geistlichkeit durch den Patriarchen gleich zum König krönen ließ. Die Entwicklung zu einer typischen Feudalmonarchie, bestehend aus halb unabhängigen staatlichen Gebieten, dem Fürstentum Antiochia sowie den Grafschaften Edessa und Tripolis, setzte sich damit fort. Es waren dies unter dem Königreich Jerusalem locker miteinander liierte christliche Herrschaften, die in unentwegten Raubzügen, Gefechten, Belagerungen nicht nur die »Ungläubigen«, sondern sich auch gegenseitig bekriegten, während gleichzeitig selbstverständlich auch die muslimischen Entsatzheere raubten, verwüsteten, töteten. Und permanent involviert waren natürlich die aus Siegen wie Niederlagen der Kreuzfahrer Gewinn ziehenden italienischen Handelsmetropolen Venedig, Genua, Pisa. Gierig auf das orientalische Großgeschäft, sicherten sie sich Schiffahrtslinien und Märkte und bestimmten weitgehend die Verwaltung syrischer Küstenstädte. Auch an bewaffneten Auseinandersetzungen nahmen sie teil, halfen diese Orte erobern, was die Ankunft des Nachschubs, der Verstärkung erleichterte und die Kreuzzügler den Weg übers Meer nehmen ließ, wozu die Kirche in der Heimat unermüdlich animierte, wo Papst Urban II. die allzu vorzeitigen Heimkehrer des Ersten Kreuzzuges exkommuniziert hatte und Nachfolger Paschalis II. sie exkommuniziert ließ, bis zu ihrem abermaligen Aufbruch ins Gelobte Land, um der morgenländischen Kirche, »unserer Mutter, mit vereinter Kraft wieder das ihr Gebührende zu verschaffen, so der Herr es gibt«.
Der Herr gab es – jedenfalls einstweilen.
Noch 1100 hatten die christlichen Besatzer Sarug gestürmt, geplündert, die Frauen gefangen und einen großen Teil der übrigen Einwohner umgebracht. Auch bei der Eroberung Caesareas im gleichen Jahr massakrierten sie die Menschen. 1002 vertrieben sie die Bevölkerung von Arsuf. Bei der Einnahme von Tortosa/Tartus in der Provinz Tripolis töteten sie, »wer in ihr Muslim war«. Verträge wurden oft nicht beachtet, wie bei der Übergabe von Gubail (1102), als die Christen nicht nur alles konfiszierten, sondern durch Tortur auch noch Geld erpreßten. Akkon nahm man 1104. Im selben Jahr freilich erlitt man am 7. Mai eine schwere, den Mythus von der Unbesiegbarkeit der Kreuzfahrer zerstörende Niederlage bei Harran, wo Balduin (der die Muslime zu täuschen versuchte, von ihnen selbst getäuscht worden ist) in Gefangenschaft geriet.
Erst nach fünfjähriger Belagerung wurde Tripolis am 12. Juli 1109 erstürmt, die Bevölkerung gräßlich gefoltert, ihr Besitz beschlagnahmt, alles an Frauen und Kindern in die Sklaverei geschleppt, »unschätzbare Beute« gemacht, die riesige Bibliothek verbrannt. Um dieselbe Zeit verjagte Tankred den byzantinischen Statthalter von Tarsus, verheerte die Provinz Saizar und zwang der Stadt einen Tribut auf. Am 4. Dezember 1110 ergab sich
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