Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
Sidon, nachdem Balduin Schonung der Einwohner und ihrer Habe zugesichert hatte. Doch dann, schreibt der arabische Chronist Ibn al-Qalanisi (gest. 1160), der erste arabische Historiker, der die Kreuzzüge behandelt, umständlich genau und meist objektiv, »stürzte er sie in Armut und nahm ihnen das Letzte; von denen, über die er wußte, daß sie behalten hatten, erpreßte er auch den Rest«.
1110 ereignete sich auch eine der größten Katastrophen der katastrophenreichen Kreuzzugsgeschichte: das Blutbad von Armenien. Die Kreuzfahrer hatten die Zivilbevölkerung dieses Gebietes zu evakuieren beschlossen, um sie vor den Überfällen der Türken zu schützen. Sie taten dies aber, als ein großes Türkenheer unter dem Atabeg von Mosul, Scharaf ad-Daulah Maudud, bereits in der Nähe weilte. Und während die Franken selbst schon am jenseitigen Ufer des Euphrat waren, wurden die Armenier auf dem anderen von den Türken überfallen und zu Zehntausenden hingeschlachtet, nur Frauen und Kinder im allgemeinen geschont. Das Land Edessa hat man damals an einem Tag menschenleer gemacht und auch nicht mehr neu bevölkert.
Beirut, von den Kreuzfahrern seit 1099 wiederholt angegriffen, konnte König Balduin, mit Hilfe der Genuesen, erst nach einer schweren Schlacht 1110 erobern. Die Stadt wurde geplündert, alles Vermögen beschlagnahmt, die Einwohnerschaft in Sklaverei geschleppt.
Balduins tolldreistes, nur auf einige hundert Ritter gestütztes Regiment war mitunter der Vernichtung nahe, doch profitierten seine beträchtlich ausgreifenden Raubunternehmen von ständig neu eintreffenden Kreuzfahrerhaufen, übrigens nicht nur militärisch. Das Königreich Jerusalem verstand das religiöse Bedürfnis auch direkt zu kapitalisieren, zum Beispiel das Wallfahren. Schröpfte die Regierung doch jeden Pilger durch diverse Zölle und Gebühren, durch Einziehung eines Drittels der gesamten Seereisekosten; ja auch ein Teil der Pilgergeschenke für Kirchen und Klöster fiel an den König.
Was anscheinend um der Religion willen begonnen worden, zeigte nun immer mehr seine tatsächliche politische und wirtschaftliche Fratze. Das spiegelt, nur beiläufig betrachtet, sogar noch die Ehe des einst für eine Klerikerkarriere vorgesehenen Balduin. Zunächst war er mit der Armenierin Arda, Tochter des armenischen Fürsten Thatul, verheiratet. Dann verstieß er sie, da er Geld brauchte, und heiratete Adelaide, die verwitwete Gräfin von Sizilien, eine schon ältere Dame, doch eine der reichsten Frauen Europas. Und als er in vier Jahren ihre gesamte Mitgift ausgegeben, jagte er auch sie wieder davon – mit dem Plazet des Patriarchen Arnulf, der ihm zu dieser Ehe geraten und sie eingesegnet hatte.
Immer übermütiger, mächtiger geworden, galt Balduins letzter Krieg Ägypten, wo er bis zum Nil vordrang, doch auf dem Rückmarsch am 2. April 1118 starb, worauf er in der sogenannten Grabeskirche von Jerusalem würdevoll, wie verdient, beigesetzt worden ist. 15
Die Ritterorden – die neue »Herrlichkeit Christi auf Erden«
Eine typische Schöpfung jener Zeit, die ohne die bewaffneten Wallfahrten vielleicht kaum entstanden wäre, sind die nach dem Ersten Kreuzzug sich bildenden, im Laufe des 12. Jahrhunderts und später in die Geschichte tretenden geistlichen Ritterorden: die Templer, Johanniter, der Deutsche Orden, Jacobusorden, Schwertbrüderorden u.a. Die Mitglieder, seit Bernhard von Clairvaux oft Mönche genannt, sind in Wirklichkeit nicht einmal Zwitter oder, feiner gesagt, Semireligiose, sind sehr viel weniger Mönche als Soldaten, sehr viel weniger Vertreter des geistlichen als des militärischen Standes, und sicher nicht dessen beste Vertreter – falls es gute gibt.
Selbst der hl. Bernhard hat in seinem Traktat »De laude novae militiae«, in dem er das wundersame schnelle Aufblühen dieser Ordensorte feiert, deren »besonders segensreiche soziale Wirkung« darin gesehen, daß so das Abendland, wie Hans Prutz in seinen »Geistlichen Ritterorden« mitteilt, »eine Menge sittlich bedenklicher und gefährlicher Elemente los wird, indem zahlreiche Räuber, Heiligtumschänder und Mörder, Meineidige und Ehebrecher nach dem Osten entfernt werden, wo man sich ihrer als Helfer gegen die Ungläubigen aufrichtig freut«.
Zwar beweist nach dem Katholiken Neuss nichts »deutlicher die Kraft des religiösen Impulses im 12. Jahrhundert«, ist der Ausgangspunkt dieser Ritterorden »die christliche Nächstenliebe«; zwar rühmt ihnen auch Jesuit Hertling
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