Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
nach Rom zurückgekehrt, rief der Papst die Kardinäle, Bischöfe und sonstige Klerisei zu sich, ermahnte sie, so steht in einer alten Quelle, »in aller Güte, keusch zu leben«, erklärte noch einmal die gefallenen Recken seines apulischen Fiaskos als Märtyrer und starb, gerade fünfzig, am 19. April 1054, sofort als Heiliger verehrt und mit entsprechenden Mirakelmären umrankt. 10
Seit Leo IX. vor allem nennt man die Päpste Reformpäpste und preist – keinesfalls nur in Kirchenkreisen – diese Entwicklung, die »kirchliche Reformbewegung« des 11. Jahrhunderts, über alles: »die gestaltende Kraft des Zeitalters« (Schieffer). Sind doch auch die modernen Historiker durchaus »reformfreundlich«.
Reform. Aber was besagt das?
Reform? Revolution! Weltmachtgelüste auf der Basis von purem Lug und Trug
Der Begriff Reform ist alt, schon in der Antike geläufig. Und im klassischen Latein muß sich mit dem Verb »reformare« durchaus kein politisch-soziales Bedeutungsspektrum verbinden, bleibt es insgesamt mehr unentschieden. Auch in der Rechtssprache der spät- und nachklassischen Juristen kann reformacio einfach »Veränderung« ausdrücken, ohne jede Richtungs- oder Wertbetonung, kann eher einen pejorativen Nebensinn, sogar eine Wendung zum Schlimmeren signalisieren.
Im Christentum dagegen verknüpft man mit Reform etwas Fortschrittliches, Positives, strahlt das Wort eine bejahende Aura, gewissermaßen (wieder) aufbauende Assoziationen aus, kurz eine »reformatio in melius« – als kennte die Historie nicht auch reformationes in peius bis heute!
Leos »Reformen« betrafen die Simonie und das Zölibat – die bevorzugten Objekte der damaligen Reformer; ein fabelhafter Vorwand, die Einmischung der Laien in die Kirche zu geißeln, zurückzuweisen, obwohl die Laien viel weniger simonistisch verstrickt waren, während man andererseits geradezu schreiben konnte: »Ohne Kleriker gab es keine Simonie« (Tellenbach).
Und die »Simonie« war alt, wurde durch das ganze erste Jahrtausend praktiziert (S. 130), durch das ganze erste Jahrtausend auch getadelt, bekämpft, von Konzilien, Päpsten, sogar von weltlichen Fürsten. Doch je reicher die Kirche wurde, desto üppiger gedieh die Simonie, wie alles Korruptible gewöhnlich mit dem Reichtum wächst. Ganz beiseite, daß man schließlich unter Simonie mehr und mehr subsumiert zu haben scheint. Schon im 10. Jahrhundert fand Abbo, der Abt von Fleury, fast nichts in der Kirche, womit nicht gehandelt, was nicht bezahlt werde: Bistümer, Priester-, Diakonentum, die Dekanie, die Propstei, Thesaurarie, die Taufe, das Begräbnis etc. Zuletzt warfen Päpste und Gegenpäpste sich gegenseitig das Laster vor, Alexander II. und Honorius II., Gregor VII. und Clemens III. usw. 11
Leo aber konnte nicht alle von simonistischen Bischöfen erteilten Weihen widerrufen, die Kirchen wären verwaist gewesen. So schärfte er nur die schon früher in solchen Fällen übliche vierzigtätige Buße ein.
Was das Zölibat betrifft, verfügte der Papst die Entlassung der Priesterfrauen. Ja, in Rom machte er alle, die mit Geistlichen zusammenlebten, zu Sklavinnen seines Palastes, um derart eine Vererbung zu unterbinden. Denn weit mehr als Keuschheit, sofern es überhaupt darum ging, oder innere Reform, interessierte auch und gerade hier das Geld und Gut, das durch Priesterheirat gar zu einfach und schnell »entfremdet«, das den Priesterkindern vermacht werden konnte. »Es geht dabei doch im Wesentlichen immer nur darum, Verlusten von materiellen Einnahmen der Kirche zu begegnen« (Tellenbach). »Nicht um die innere Reform der Kirche ging es dabei, sondern um die Erhaltung des Kirchengutes« (Jesuit Kempf). Keusch mußte man nicht unbedingt sein: vorsichtig! »Aber man achte darauf, daß es heimlich geschehe ...« – die geschriebene und ungeschriebene (un)moralische Maxime bis heute, die Heuchelei, wie sie im Buch steht (s. meine Sexualgeschichte). 12
Im Grunde repetierte der »Reformpapst«, der auch die papale Bürokratie ordnete und die Grundlagen für das Kardinalkollegium schuf, bloß ältere Vorschriften, wollte oder konnte er zumindest nicht streng durchgreifen, die Simonie nicht beseitigen, das Zölibat nicht erzwingen. Auch das Verhältnis zu den weltlichen Instanzen blieb unangetastet, ebenso die Einsetzung der Bischöfe durch den Landesherrn, falls wenigstens die Form der Wahl durch Klerus und Volk gewahrt worden ist. 13
Gewiß sollte sich in dieser wie in anderer Hinsicht durch die
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