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Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Deschner
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»Reformpäpste« vieles grundlegend ändern; nicht durch Reform aber, durch Umsturz, durch Revolution.

    Dabei übersieht oder unterschlägt man oft, daß der Umstrukturierung des Papsttums wichtige kaiserliche Reformmaßnahmen – unter den fränkischen und mehr noch den salischen Herrschern – vorausgegangen waren, die der kurialen Regeneration weitgehend zustatten kamen. Schon Heinrich II. ist an Reform, natürlich zuerst zugunsten seiner Machtpolitik, viel mehr interessiert als etwa Papst Benedikt VIII. Überdies waren die von den Kaisern ins Papstamt gesetzten deutschen Reichsbischöfe die ersten Reformpäpste, waren gerade die deutschen Päpste »die Wegbereiter und Vorläufer der gregorianischen Kirchenreform« (Frech).
    Bald aber artet die vielgepriesene Neuordnung in einen ungeheuren Machtkampf aus, wird das Kaisertum, das Kirche und Päpste doch aus einem Sumpf fast ohnegleichen gezogen – das ist die besondere Perfidie dieser Pfaffengeschichte –, zum Opfer der Kirche und Päpste.
    Das »Reformpapsttum« bekämpfte nämlich nicht nur die Priesterehe, an deren Stelle schließlich eine Art Vielweiberei zahlreicher, ja wohl der meisten Priester trat. Das Reformpapsttum bekämpfte auch nicht nur die Simonie, die ein kolossaler geistlicher Handel des päpstlichen Hofes selbst ablöste. Nein, das Reformpapsttum bestritt auch das alte Recht der Laien an der Besetzung der Bistümer, der Kirchen überhaupt. Höchst massive materielle Implikationen waren also mit den diversen Reformaktivitäten verknüpft, Implikationen die »zwar keineswegs immer (!) den Ausschlag gaben, die jedoch niemals fehlten« (Miethke).
    Vor allem aber verbindet sich mit dem Ringen um die Investitur auch bald der Kampf des Klerus gegen die Laien, der Päpste gegen die Kaiser, der Anspruch, auch die weltlichen Potentaten zu leiten »wie die Seele den Körper« – nicht mehr Reform somit, sondern Revolution, Abstoßung des bisherigen, auf der Idee des theokratischen Königtums beruhenden politisch-religiösen Systems. Denn dieses paßte nicht mehr in Roms hierarchisch universalistisches Konzept. Und so drängen jetzt die Päpste an die Stelle der Cäsaren, noch weit über sie, betreiben sie, bei wachsender Unabhängigkeit, sich fast überschlagender Machtgier, eine ungeheure, keinesfalls bloß kirchenpolitische Expansion, erstreben sie gleichsam globale Geltung, die Führung der ganzen Welt, und zwar mit jeder, auch mit Waffengewalt – und alles unter dem Heiligenschein angeblich wiederhergestellter alter christlicher Ideale!
    Nun wurde die Gloriole des Krieges im Dienst der Kirche gewoben, führte die »Reform« zu Serien von monströsen, ohne »Reform« nicht möglichen Verbrechen. Schon Leo IX., der gewissermaßen im Geist des Erneuerungswillens und Friedens begonnen, der noch eng mit dem Kaiser kooperiert hatte, diente nicht nur diesem mehrfach militärisch, sondern er beendete seine Regierung auch mit einem eigenen blutigen Krieg – typisch für die kommende Zeit. Und gleich nach seinem Tod wird er als Heiliger verehrt (Fest: 19. April), zumal die Leiche des so kriegstüchtigen Stellvertreters Christi Wunder bewirkt haben soll. Und dabei geht auch die große Kirchenspaltung, das Schisma zwischen Ost und West, auf seinen Pontifikat zurück. 14
    Nun rekurrierte man bei all den »Reformen« des 11. Jahrhunderts zwar auf altes kirchliches Recht. Aber man hatte dieses Recht tatsächlich nicht. Man berief sich auf Zustände, die es nie gegeben. Man berief sich auf gigantische Fälschungen, auf die Konstantinische Schenkung (IV 14. Kap.!) und Pseudoisidor (V 181 ff!), auf erdichtete Urkunden, erlogene Dekretalen.
    Ein im 11. Jahrhundert durch den Kardinal Humbert von Silva Candida, den einflußreichen Berater von vier Päpsten, zusammengestelltes Handbuch des Kirchenrechts bezieht seinen Stoff zu fast fünf Sechsteln aus der großen Fälschung des 9. Jahrhunderts! Kraft dieses pseudoisidorischen Betrugs konnte man für das Papsttum eine beinahe unbegrenzte Machtvollkommenheit fordern, konnte man behaupten, die römische Kurie habe ihren Primat von Gott empfangen, alle Kirchen müßten sich deshalb nach ihr richten, sie selber aber dürfe von niemandem gerichtet werden. Und all dies und sehr viel mehr wurde in der Fälschung schon den alten und sozusagen besonders ehrwürdigen Zeugen der Christenheit, den römischen Bischöfen der Märtyrerzeit, in den Mund gelegt.

Viktor II. und Stephan IX., die letzten seit Clemens II. regierenden

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