Kriminalgeschichte des Christentums Band 06 - Das 11 und 12 Jahrhundert
I. Und da der hl. Papst die Kontroverse zugunsten Regensburgs entschied, verwickelte er sich, vielleicht ja ohne es zu wissen, »in ein Gewebe von Lügen«, wurde jedenfalls »mitschuldig eines frommen Betruges« (Steindorff), der die beiden Klöster jahrhundertelang in Atem hielt.
Weil aber Leo in jener, von allen Chronisten in düsteren Farben gemalten Zeit, einer Zeit, in der auch und gerade der Apostolische Stuhl, wie es damals hieß, Ausgangspunkt aller Übel war, weil Leo da für Keuschheit eintrat, Ordnung der Verwaltung, weil er gegen Ämterschacher und Priesterehe predigte, keinesfalls konsequent zwar, manchmal auffallend konziliant, rühmt man fort und fort noch heute seine »Güte, Heiligmäßigkeit und Liebenswürdigkeit«, sieht man noch immer in ihm einen »von höchstem Rechtsethos durchdrungenen«, »ganz von den Idealen seines Berufes erfüllten Papst«, einen der »edelsten und ausgezeichnetsten«, eine der »reinsten Gestalten der Papst-und Weltgeschichte«. War er doch auch für Johannes Haller – ohne jede Ironie – »Staatsmann und Kriegsherr ebensosehr wie Priester und Seelenhirt und beides in bester Prägung«.
Die Kirche verehrt Leo IX. seit seinem Tod als Heiligen, stets ein besonders bedenkliches Indiz. »Kaum hatte er den letzten Atemzug gethan, so läutete die Glocke der Peterskirche von selbst, um den Gläubigen seinen Tod anzuzeigen, und mehrere glaubwürdige (!) Personen versicherten, seine heilige Seele in der Mitte der Engel zum Himmel aufsteigen gesehen zu haben« (Donin). Und dies nicht zuletzt, wie die Biographen bemerken, wegen seiner »frommen Kriegstaten«, die er, noch dazu als erster Papst, im Namen der Kirche verbrach. 5
Doch schon seinerzeit gab es ganz andere Stimmen, sogar innerhalb der Kirche. Schrieb ja selbst Kirchenlehrer Petrus Damiani, Berater Leos IX., 1053: »Wenn für die Sache des Glaubens, durch welchen die allgemeine Kirche lebt, kein Privatmann das Schwert erheben darf, wie darf dann für weltliche und vorübergehende Besitzungen der Kirche ein geharnischtes Heer mit dem Schwert rasen? Wie darf um des Verlustes elender Güter willen der Christ den Christen morden? ... Hat sich je ein heiliger Papst in Waffen erhoben?«
Der heilige Leo erhob sich so, wußte freilich Rat, typisch christlichen. Denn als die Römer – von dem verjagten Benedikt samt Anhang aus Tusculum und anderen Burgen immer wieder blutig behelligt, beraubt – einen der unter Christen üblichen Rachekriege verlangten, da wollte der hl. Papst nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern Frieden suchen, ganz evangelisch, wollte er ebendeshalb »eine Synode berufen; wer ihr gehorcht und den Irrtum ablegt, sei unser Freund; wer nicht gehorcht, werde als Ketzer bestraft«. Und schon zwei Monate nach seiner Papstweihe, im April 1049 bannte er auf einer Synode im Lateran, einer »Reformsynode«, wie sie jetzt aufkamen, Benedikt IX. sowie die übrigen »perfidi« und befahl die römische Miliz zum Kampf gegen sie. Darauf zerstörte, verbrannte man auch prompt mehrere Kastelle und verheerte die Umgebung von Tusculum, ohne allerdings dies selbst erobern zu können. 6
Der hl. Papst, aus einer kampfgewohnten Grafensippe stammend – die eine Fehde nach der andern austrug, dann reiche Stiftungen für ihr Seelenheil machte und im Kloster verschied, der christliche Weg zum Ewigen Leben –, liebte von früh an den Krieg. Ja, er soll, berichtet Wibert, sein Biograph, so versiert auf militärischem Gebiet gewesen sein, als wäre dies seine einzige Beschäftigung! Der dreiundzwanzigjährige Domkanoniker von Toul befehligte 1025/1026 unter seinem Verwandten, König Konrad II., auf einem Feldzug in der Lombardei die Feldschar seines siechen Bischofs. Und als dieser von hinnen ging, machte Konrad den Domkanoniker und Truppenführer 1027 zum Nachfolger. Und Heinrich III. nominierte ihn Ende 1048 in Worms zum Papst. 7
Doch hatte der hl. Leo nicht einst mit geringem Gefolge im Pilgergewand und barfuß Rom betreten? Wallfahrtete er nicht auch nach dem apulischen Monte Gargano? Ausgerechnet nach jenem gloriosen Gnadenort, der eng auf Soldatentum und Krieg bezogen und ironischerweise 1462, unter dem unentwegt das Schwert schwingenden Aragonesen Ferdinand I. selbst Kriegsschauplatz gegen die aufständischen Barone, von dessen regulären Truppen geplündert worden ist.
Zentrum des Gargano aber war die Grottenkirche zu Ehren des Erzengels Michael, dieses betont kriegerischen Himmelsboten, der soldatische Kleidung
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