Kriminalgeschichte des Christentums Band 07 - Das 13 und 14 Jahrhundert
Constantinopolitana« über seinen Abt Martin und dessen Reliquiengier: »Und er tauchte beide Hände eilig und begehrlich hinein, und kräftig geschürzt wie er war, füllte er den Bausch der Kutte mit dem heiligen Kirchenraub.« Lachend brachte der geistliche Bandit seine Beute aufs Schiff und hatte für seine Vergnügtheit offensichtlich auch allen Grund, »denn der Raub umfaßte eine Spur vom Blute des Herrn, ein Stück vom wahren Kreuz Christi, einen nicht geringen Teil des Hl. Johannes, einen Arm des Hl. Jakobus, einen Fuß des Hl. Kosmas, einen Zahn des Hl. Laurentius, Reliquien von weiteren 28 männlichen und 8 weiblichen Heiligen sowie Reste, größtenteils Steinbrocken von 16 heiligen Stätten«.
Nun waren solch heilige und allerheiligste devotionalia selbstverständlich fast samt und sonders Schwindel, galten aber fraglos als echt und wurden hoch verehrt, waren sozusagen einzigartige Kostbarkeiten, nicht zuletzt ungeheure Magnete des Wallfahrergeschäfts (vgl. III 3. Kap.!) und schon deshalb eine intolerable Kultkonkurrenz. Doch ob Kunst, ob Reliquien, all dies hat man jetzt, schön gesagt, der »kulturellen Demontage« (Kupisch) anheimgegeben, hat man in kürzester Zeit zügellos zerstört, um horrende Summen verschachert oder in die Sitze geweihter und ungeweihter Herren des Westens geschleppt, »weder Kirchen noch Klöster wurden geschont, auch keine Bibliotheken« (Kawerau). Die erlesensten Handschriften fielen den abendländischen Briganten zum Opfer, nur wenige Dramen des Sophokles und Euripides überlebten. Die fränkischen »Kriegerbanden« (Duby) ruinierten die Stadt »roher als je Kalifen oder Türken im Morgenland gehaust hatten; Konstantinopel und das Byzantinische Reich haben sich von diesem Schlage nicht mehr erholt« (Schubart). Geradezu systematisch sollen die Venezianer das Teuerste aus Kirchen und Palästen weggeräumt und sich kaum vorstellbar bereichert haben. Doch gewann jeder Mann von auch nur einigem Rang ein Vermögen. 10
Die Plünderungswut nahm zuletzt solche Formen an, daß die Heerführer befahlen, die Beute, aus der auch den Venezianern die Schulden zurückzuzahlen waren, in drei Kirchen sowie einer Abtei zu sammeln. Und noch nie, notiert Robert de Clari, der einfache Ritter und Augenzeuge, in seinem aussagekräftigen, altfranzösisch verfaßten Bericht »La Conquête de Constantinople«, »niemals, seitdem diese Welt geschaffen wurde, gab es so vieles Gut, so schön und so prächtig, weder gesehen noch erobert, weder zur Zeit Alexanders noch zur Zeit Karls des Großen, weder vorher noch nachher«. Ja, der Chronist versichert, die vierzig reichsten Städte der Welt enthielten nicht soviel Reichtümer wie Byzanz allein. Und beim Stehlen, Plündern, betont Robert de Clari, gingen gerade die Anführer und Aufpasser mit schlechtem Beispiel voran, nahmen sie »die goldenen Schmucksachen und was sie wollten ... und jeder von den Reichen nahm entweder goldene Schmucksachen oder seidene Stoffe, und was er am liebsten mochte, trug er fort ... und der Allgemeinheit des Heeres gab man davon nichts, noch auch den armen Rittern oder den Fußsoldaten, die geholfen hatten, es zu gewinnen ...«. 11
Und ist's, geht es um Geld, Profit, nicht so durch die Jahrhunderte? Noch heute?
Das kurzlebige Lateinische Kaiserreich und die langlebige »adriatische Kröte«
So ungeheuer der Raub der Lateiner in Konstantinopel aber war, so gigantisch, daß er nach Walter Zöllner »die palästinensischen Ereignisse vom Jahre 1099 noch in den Schatten« stellte (vgl. VI 380 ff.!), was bedeutete all das neben dem Raub riesiger Reichsteile und ihrer Vergabe an einige hundert »Kreuzfahrerbarone« in rund 600 »Lehen« (Partitio)? Denn die Kreuzzügler, die, statt Jerusalem den »Ungläubigen« zu entreißen, Byzanz eingenommen, wollten es jetzt auch regieren. Und das taten sie, bis es der Byzantiner Michael VIII. Palaiologos 1261 zurückeroberte, mit Hilfe der Genuesen, die Venedig geschäftlich auszubooten suchten.
Kaiser des neuen Reiches (Amtssprache Latein; selten und bloß seit Balduin II. Französisch, das man jedoch am Hof von Anbeginn an sprach) war der am 9. Mai 1204 gegen seinen Konkurrenten Bonifaz von Montferrat gewählte, am 16. Mai in der Hagia Sophia gekrönte Graf Balduin von Flandern und Hennegau. Er bekam ein Viertel des Reichsgebietes, hatte aber nicht die stärkste Stellung inne und sollte sie auch nicht haben. Er nannte sich stolz den »neuen Konstantin«, verkündete pompös dem Papst
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