Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
mit Höllenpein, fälschten Urkunden und betrogen die in Aberglauben belassenen Bauern mit angeblich wundertätigen Heiligenreliquien, die sie eigens dazu aus Italien und Westfranken herbeischaffen ließen.«
L. Stern/H.J. Bartmuss 3
Es gehört zu den großen Grotesken unserer Geschichte, daß man von der Basis der feudalen Gesellschaft, dem opus servile, der breiten Unterschicht, die alles aushält, alles trägt und erträgt, die durch das ganze Mittelalter betet »a bello, peste et fame libera nos, Domine«, daß man von der übergroßen Mehrheit der Unfreien und Halbfreien am wenigsten weiß, am wenigsten erfährt, daß die Geschichtsschreiber über sie von Jahrhundert zu Jahrhundert schweigen, als wäre sie nicht existent. Alles lebt von ihr, das ganze Drama der Geschichte läuft nur durch sie und über sie, sie selbst aber spielt darin so gut wie keine Rolle. Bereits 1941 schrieb der bedeutende Historiker Heinrich Dannenbauer über die Grundlagen der mittelalterlichen Welt: »Die Taten und Untaten dieser weltlich-geistlichen Aristokratie machen die Geschichte jener Jahrhunderte aus; mit ihnen füllen die Chronisten jener Zeit die Blätter ihrer Bücher. Von anderen Leuten ist nichts zu vermelden. Das Volk auf dem Lande ist zum größten Teil abhängig, unfrei in mannigfaltigen Abstufungen. Es hat zu gehorchen, zu arbeiten und Abgaben zu entrichten. Zu sagen hat es nichts. Es hat im Grunde keine Geschichte.« 4
»Seid nicht traurig – wir sind alle Brüder in Christo«
Die frühmittelalterliche Welt hat die tradierte spätrömische Verwaltungsstruktur, hat insbesondere das spätantike Wirtschaftssystem in allem Wesentlichen übernommen, die Sklaverei ebenso wie das Kolonat, die Anbaumethoden ebenso wie den Lebensstil. Und als das Römische Reich zusammenbrach, setzte die christliche Kirche, schon im 5. Jahrhundert größte Grundbesitzerin in diesem Reich, dessen Agrarkapitalismus, die Despotie der Cäsaren, die alten menschenunterjochenden Mechanismen in noch gewaltigeren Dimensionen fort. Zwar gab es weiter ein freies Kleinbauerntum, zwar waren die Arbeiter auf den riesigen Landgütern der grundbesitzenden Adelsschicht rechtlich frei, faktisch aber waren sie schollengebundene Leibeigene. Der Großgrundbesitz saugte auch die bisher freien Dörfer auf, ihre Existenzgrundlage wurde ruiniert, jede Verbesserung der sozialen Verhältnisse verhindert, die Abhängigkeit unüberwindbar.
Das 5. Jahrhundert, es ist das Jahrhundert, an dessen Anfang Seelsorger Augustin die Sklaven durch die Gottgewolltheit ihres Loses tröstet und ihren Herren den Nutzen vorstellt, der ihnen aus dieser Pastoral erwächst. Es ist das Jahrhundert, an dessen Ende Rom »einen sozialen und wirtschaftlichen Tiefstand erreicht«, so Walter Ullmann, »der sich kaum von Chaos unterschied.«
Und am Ende des 6. Jahrhunderts bekämpft kein Geringerer als Papst Gregor I., Heiliger, Kirchenlehrer und »der Große«, den Gleichheitsgrundsatz in der sozialen Welt. Der Herr gigantischer Güter – im geschätzten Umfang von 4500 bis 5000 Quadratkilometern (offiziell schon seit Jahrzehnten »Gut der Armen« genannt, eine von Gregor brieflich oft bemühte Bezeichnung) –, dieser heilige Papst kennt viele gute, gewissenhafte Reiche, weiß aber auch von vielen schlechten Armen, und trifft sich da wieder gut mit Augustinus, der einerseits einmal einen Armen apostrophiert: »Schau auf den reichen Mann, der neben dir steht. Vielleicht hat er eine Menge Geld bei sich, aber keine Habsucht in sich, während du, der du kein Geld hast, eine Menge Habsucht in dir trägst« – und andererseits konsequent der vornehmen Proba, Erbin einer riesigen, durch Raub erworbenen und mit rücksichtsloser Selbstsucht erhaltenen Grundherrschaft erlaubt, selbstverständlich wie immer inmitten ihres Reichtums zu bleiben; nur innerlich sollte sie sich davon befreien und der Vergänglichkeit aller menschlichen Dinge bewußt werden! Beide, Augustin wie Gregor, halten Reichtum für ein Gut und treten entschieden für die Ungleichheit der Menschen wie der Stände ein. Von Natur zwar, wie Gregor erklärt, seien alle Menschen gleich, aber eine »geheimnisvolle Fügung« habe für Unterschiede in der Gesellschaft gesorgt (IV 7. Kap., bes. 183 ff.).
So dachte und schrieb fortan jedwedes Kirchenlicht. Von Natur alle gleich. Und ebenso vor Gott. Obwohl es doch auch im Jenseits wieder Unterschiede gibt, bessere und schlechtere Plätze, wie im Diesseits. Dieser Trost zieht sich durch die
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