Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
Hintersassen. Wer nichts hat, tritt in ein Subalternitätsverhältnis zu einem weltlichen, einem geistlichen Herrn, zu dem possessor. Er wird ihm zinspflichtig, hörig, leibeigen (was sich nicht begrifflich, aber sachlich überschneidet). Im 8. Jahrhundert ist die persönliche Knechtschaft schon alltäglich. Und je mehr auf der einen Seite der kirchliche, der weltliche Grundbesitz anschwillt, desto größer wird auf der andren die verknechtete Bauernschaft.
Ein Bauer ist normalerweise leibeigen. Fast das ganze Landvolk und damit das Volk überhaupt ist weitgehend leibeigen, wenn es auch innerhalb des niedrigsten Standes noch Unterschiede gibt. Und mag die Menge eigentlicher Sklaven allmählich abnehmen, mag die Sklaverei mit den sozioökonomischen Mutationen beim Übergang ins Hochmittelalter enden, das heißt in der Hörigkeit bzw. servage aufgehn, die Zahl der Abhängigen wächst ununterbrochen, nicht zuletzt durch Freie, die, meistens mehr nolens als volens, den »Schutz« der Grundherren suchen. 6
Den Bauern freilich, den Bauern im Rechtsinn, gab es im Frühmittelalter nicht mehr. War doch das kleine freie Bauerntum in Europa mit der Rezeption des römischen Rechts, der fortschreitenden Feudalisierung, den alles überwuchernden Zwangswirtschaften von Adel und Klerus, weitgehend vernichtet, von den weltlichen wie geistlichen Domänen aufgesogen – auch wenn, sehr begrenzt, bäuerliches Eigentum noch lange bestand.
Erst im Hochmittelalter erscheint der Bauer (agricola, rusticus). Aber dieser Bauer ist gewöhnlich nicht frei, sondern durch einen Vergrundholdungsprozeß grundherrlich gebunden (colonus, censualis), ist dienst- und abgabenpflichtiger Höriger, Hintersasse, der mit fortschreitender christlicher Zivilisation sogar wieder zum Leibeigenen (servus) gemacht, der vererbt, verkauft, vertauscht, verpfändet, verschenkt werden kann, »rechtlich dem Vieh fast gleichstehend« (Davidsohn). So erhält auf der Mainzer Synode 1007 durch den großen königlichen Schurkenstreich Heinrichs des Heiligen (VI 67 ff.!) der Bischof von Würzburg für die Abtretung eines Teiles seiner Diözese »150 Bauernhöfe mit eben so vielen Geschlechtern von Leibeigenen«. »Von einer allgemeinen Tendenz der Kirche, den Status der servi abzuschaffen oder seine Daseinsbedingungen zu erleichtern, kann keine Rede sein, verfügte diese doch selbst über die größte Zahl von servi« (Hägermann).
Im 12. Jahrhundert gibt es in Europa zwar eine neue Schicht freier Bauern, die von bestimmten Lasten und Beschränkungen entbunden, am Ende des Mittelalters aber wieder so gut wie verschwunden ist. Auch sind Fälle mehr oder minder »freiwilliger« Verknechtung durch das Früh-, das Hochmittelalter nicht selten. So klagt eine Zinserin aus Altusried, die vordem als frei galt: »Als mein Mann gestorben ist, hat man mich und mein Kind ins Gefängnis geführt, meinen Sohn wie einen Dieb an einem Strick, und das Haus offen stehen lassen. Da habe ich mich mit meinen Kindern verschreiben müssen: Sollte ich oder meine Kinder abschweifen, so soll alles dem Gotteshause verfallen«. Und noch im 11. Jahrhundert bietet im Anjou eine freie Bauernfamilie dem Kloster Saint Florent in Saumur zwei ihrer Kinder, die sie nicht ernähren kann, als Sklaven an. (Die französischsprachige Mediävistik spricht, wie der Althistoriker, von »Sklaven«, die deutschsprachige von »Knechten« oder »Unfreien«.)
Die Landbevölkerung ist im Hochmittelalter weithin verarmt und während des ganzen Mittelalters, ungeachtet aller landwirtschaftlichen Wechsellagen, gewisser Expansions- und Regressionsphasen, chronisch unternährt – bei einem Durchschnittsalter von knapp über dreißig Jahren; die Könige desselben Zeitraums werden durchschnittlich fast fünfzig (einige Päpste beinah neunzig Jahre alt). Die Masse Mensch ist gefangen in einem Netz von »Banngebühren«, von blutsaugerischen Diensten und Abgaben. Sie haust in Holz-, in Erdhütten mit dem Vieh zusammen, lebt am Rand des physischen Überlebens, lebt zeitweise von Baumrinden und verelendet immer mehr. Sie sinkt mit dem beginnenden Spätmittelalter »in eine allgemeine Leibeigenschaft« (Bosl).
Das landbebauende Proletariat aber, die ihren Besitzern ausgelieferte Unterschicht bildet fraglos den weitaus größten Teil des Volkes und wird ganz brüderlich überall mit dem schönen Namen »familia« umfaßt. Das Wort bezeichnet seinerzeit freilich nicht, wie dann in der Moderne, die Lebensgemeinschaft von Eltern und
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