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Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert

Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert

Titel: Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karlheinz Deschner
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Kardinälen und Theologen, dem Papst rasch das Heft aus der Hand.
    Dies geschah nicht nur durch die kluge Diplomatie des überdurchschnittlich gebildeten Königs (er sprach außer Deutsch, Tschechisch, Polnisch, Ungarisch auch Französisch, Italienisch und Latein), sondern vielleicht mehr noch durch einen verfahrenstechnischen Trick. Danach stimmten nicht mehr allein die Bischöfe ab, gab es überhaupt kein Stimmrecht wie bisher per capita, sondern per nationes: Jede Nation bekam, ohne Rücksicht auf ihre Mitgliedstärke, nur eine einzige Stimme; wie auch das Kardinalskolleg insgesamt nur eine Stimme hatte, was den Papst um eine gewisse Überlegenheit seines vielköpfigen, noch durch Neuernennungen verstärkten italienischen Anhangs brachte. Zudem trat man immer mehr für die cessio omnium, die Abdankung aller drei amtierenden Päpste ein.
    Johann sträubte sich anfangs zurückzutreten, wehrte sich mit allen Mitteln, ließ es weder an Bestechungen noch an Beteuerungen fehlen, machte Versprechungen über Versprechungen, wollte lieber die rechte Hand verlieren als sein Wort nicht halten, versicherte dann aber Anfang März: »Ich, Papst Johann XXIII., erkläre, verpflichte mich, gelobe und schwöre Gott, der Kirche und dieser heiligen Synode, um des Friedens des ganzen christlichen Volkes willen, aus eigenem freien Willen der Kirche den Frieden zu geben durch meinen einfachen Verzicht auf das Papsttum, ihn tatsächlich zu vollziehen und auszuführen gemäß dem Ratschlag des gegenwärtigen Konzils, wenn und sobald Peter von Luna und Angelo Correr der von ihnen beanspruchten päpstlichen Würde, sei es in eigener Person oder durch Bevollmächtigte, entsagen.« 32
    Man sang schon ein Tedeum, läutete alle Glocken von Konstanz; der Monarch dankte Johann, ließ aber die Stadttore bewachen, obwohl oder weil dieser hoch und heilig schwor, den Ort nicht zu verlassen. Doch fühlte er sich Pressionen ausgesetzt, in seiner Freiheit, seiner Sicherheit nicht zu Unrecht bedroht und entwich in der Nacht vom 20. auf den 21. März als Stallknecht verkleidet nach Schaffhausen in ein Schloß Herzog Friedrichs von Österreich, wohin ihm wenige Tage darauf auch acht Kardinäle und viele Kuriale folgten. Jetzt ächtete König Sigismund den Österreicher, dessen Land die Eidgenossen, offensichtlich wohlinformiert und gut vorbereitet, mit Krieg überzogen, so daß er den Papst nicht mehr zu schützen vermochte.
    Johann hatte durch seinen Ausbruch die Kirchenunion zu hintertreiben, das Konzil zu sprengen, es entweder anderwärts zu lokalisieren oder ganz aufzulösen gesucht. Das mißlang völlig. Vielmehr provozierte er es zu einer revolutionären Lehrentscheidung, dem Dekret »Haec sancta« vom 6. April 1415, das die Oberhoheit des Konzils über den Papst verkündete in Fragen der Kirchenspaltung, der Kirchenreform und des Glaubens.
    Konziliare Ideen hatten schon vordem Theologen wie Marsilius von Padua oder Wilhelm von Ockham entwickelt, und während des Abendländischen Schismas propagierten Konrad von Gelnhausen, Dietrich von Münster, Dietrich von Niehm, Jean de Gerson u.a. die Demokratisierung der Kirchenverfassung und das allgemeine Konzil als höhere Institution, eine Art parlamentarischer Kontrollinstanz gegenüber dem Papst.
    Dagegen schuldet dieser nach konservativen Kirchenkreisen dem Konzil keine Rechenschaft, ist seine primatiale Stellung grundsätzlich unerschütterbar, erkennt man hier in dem Dekret »Haec sancta« keinen Verfassungs- oder Traditionsbruch, sondern sieht die höchste Autorität dem Konzil nur zugebilligt in einem mit Konstanz vergleichbaren Fall. Die Sache wurde schon bald auf dem Konzil von Basel (S. 223 ff.) wieder spruchreif, wurde sogar radikaler neu belebt und ist bis heute umstritten.
    Johann erklärte auf der Flucht, Konstanz nur aus gesundheitlichen Gründen verlassen zu haben, war aber auch voller Klagen über die konziliaren Verhältnisse und voller neuer Beteuerungen, seine Zusagen zu halten. Er floh weiter, von keinem Kardinal begleitet, nach Freiburg, wurde vom Pfalzgrafen Ludwig III., Herzog von Bayern, Ende April in Breisach eingefangen und dann in Konstanz einem Prozeß unterworfen.
    Man besaß dort seit Februar 1415 ein obskures Verzeichnis aller Schandtaten, die man ihm zu Recht oder Unrecht vorwarf, einen mit Geld erkauften Aufstieg, ungemeine Mißwirtschaft, Vergeudung des Kirchengutes, sexuelle Laster jeder Menge und Sorte. Die Liste umfaßte 72 Punkte seiner Crimina, ja, ursprünglich hatte

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