Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
Gegenwart des Antichrist, als den er einmal, mit den Finger auf ihn zeigend, den seiner Homilie lauschenden Kaiser vorstellte. Zeitweilig eingekerkert, predigte er weiter, wurde dreimal an den päpstlichen Hof befohlen, geriet in Rom in die Fänge der Inquisition und bekam in Prag wegen seiner Kirchen-, seiner Kleruskritik einen »Ketzer«-Prozeß, während dessen er 1374 in Avignon starb.
Ein Schüler wieder von Milic war der in Paris ausgebildete Prager Titulardomherr und Pönitentiar Matthias von Janov (gest. 1394). Im Unterschied zu Milic, den er verehrte und bewunderte, lebte er nicht arm, suchte den persönlichen Erfolg, betonte aber, wie Milic, das eschatologische Thema. Er forderte, ein zentrales Motiv, den Vorrang des Evangeliums gegenüber allen Kirchensatzungen, die tägliche Laienkommunion, bereitete besonders den Boden für die Rezeption Wyclifs in Böhmen und wirkte auch stark auf die spätere hussitische Bewegung. 6
Die heftige Reformdebatte herausragender religiöser Nonkonformisten wurde um die Jahrhundertwende durch zahlreiche Prager Theologen intensiviert, die sich eingehend mit der Lehre John Wyclifs (S. 149 f.) auseinandersetzten, der im radikalen Rückgriff auf die Bibel einen armen Klerus forderte, was natürlich die Zustimmung vieler fand. Und aus all diesen, auch sozialkritischen Tendenzen (zu denen später noch ursprünglich nicht gegebene nationale Implikationen kamen, der Auszug der deutschen Magister und Studenten, wenigstens die Hälfte der Universitätsmitglieder, aus der Universität) erwuchs so eine Art Reformbewegung, deren Sprecher der Universitätsmagister und, seit 1402, Rektor des dreitausend Menschen fassenden Predigthauses »Zu den unschuldigen Kindern Bethlehems«, Jan Hus, geworden ist. 7
Ein Reformator entflammt Böhmen
Jan Hus (Johann von Hussinetz) entstammte armen Verhältnissen und hatte auch stets Verständnis für sogenannte einfache Leute, zu seiner Zeit immer noch 90 Prozent der Bevölkerung. Sollte ja auch, so Hus, der Priester arm sein, wie Jesus arm war, dem er nachfolgen müsse.
Um 1370 in Husinec, am Fuß des Böhmerwalds, unweit der Moldauquellen geboren, kam der Bauernsohn etwa 1389 – das Jahr, in dem man im christlichem Prag an einem Tag 3000 Juden abstach (vgl. VII 12. Kap.) – in die Stadt. Er studierte Philosophie, wurde 1396 Magister artium, trieb seit 1398 Theologie, hielt jetzt auch Vorlesungen, wurde 1400 Priester, 1401 Dekan seiner Fakultät, 1402 Prediger und Rektor der Bethlehemkapelle, in der er ein Jahrzehnt lang jährlich zweihundert Predigten und mehr gehalten haben soll, wurde 1409 Rektor der Universität, die seinerzeit die höchsten Immatrikulationszahlen unter den europäischen Universitäten aufwies. Somit eine glänzende Karriere des Mannes, der an Jan Milic, Matthias von Janov anknüpfte, auch an ihre Überzeugung vom nahen Weltende, der aber besonders dem englischen Reformator folgte, dessen Traktate er (1398) abschrieb, von dem er, damals durchaus üblich, viel übernahm, ohne freilich Epigone Wyclifs zu sein.
An Deutlichkeit ließ es Hus, der allerdings kaum einen Hierarchen namentlich nannte, von früh an nicht fehlen. Unerschrocken ruft er, daß die Päpste viele Tausende bedrücken, daß sie »gewiß lügen, und sie lügen auch ausgiebig«, daß sie »sich zu Henkern und Scharfrichtern ausgebildet; einen treuen Christen heißen sie einen Ketzer und verbrennen ihn«.
König Wenzel sympathisierte anfangs mit den Reformbestrebungen von Hus, schätzte auch seine nationalböhmische Hochschulpolitik, überhaupt sein glühendes Tschechen- und Slawentum. Die Königin, Sophie von Wittelsbach, hörte manchmal seine Predigten. Der hochadlige Prager Erzbischof Zbynek Zajic von Hasenburg (1403–14 n), beim Amtsantritt auch erst 26 Jahre alt, ermöglichte ihm Synodalpredigten sowie Auftritte vor anderen wichtigen Gremien. Und dem Adel konnte, da Hus die Grundprinzipien der Ständeordnung nicht in Frage stellte, seine harsche Kritik am Reichtum der Priester, an ihrer Habgier, ihrem Luxus, Hochmut, konnte sein Insistieren auf der Säkularisierung der Kirchengüter nur willkommen sein. Auch verfehlte sein Vorwurf, der Klerus kassiere ein Viertel oder ein Drittel aller Einkünfte des Königreichs, kaum die Realität. Im nordöstlichen Böhmen zwar besaß die Kirche um 1400 nur 10 Prozent des Grundeigentums, im Pilsner Raum aber 36,9 Prozent, im Prager Raum 53,6 Prozent, insgesamt mehr als ein Drittel des Bodens. 8
Hus, einmal
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