Kriminalgeschichte des Christentums Band 08 - Das 15 und 16 Jahrhundert
Konzilsregie, zumal eine neunzehnköpfige Untersuchungskommission, lauter erklärte Hus-Feinde, ihr Opfer erfaßt. Doch im Grunde war Hus seit seinem Erscheinen in der Bodenseestadt ein toter Mann, zumindest einer, den man bei Widerruf in irgendeinem Klosterkerker lebenslang würde kaputtgehen lassen.
Nachdem man John Wyclif am 4. Mai 1415 »auf ewig verdammt« und seine Gebeine auszugraben und an einem ungeweihten Ort wie Unrat wegzuwerfen befohlen hatte, begannen Anfang Juni die öffentlichen Verhöre von Hus, eine reine Formsache, wobei man oft skandalös mit ihm umging: zu vielen auf ihn einbrüllte, ihn kaum zu Wort kommen ließ, ihn mit höhnischen Ausfällen überschüttete, ihm Fangfragen stellte, ihn auslachte, auspfiff, anspie, ihn mit Verwünschungen, Schmähungen überschüttete, ihn Reptil und geile Natter schimpfte, schlimmer als einen Sodomiten, Türken, Juden, als Kain und Judas, indem man seine Gewissensnöte komisch fand oder seine Gedankengänge gar nicht aufgri ff. Man befragte Zeugen, fast durchweg Gegner, an einem einzigen Tag 15, die ihn alle beschuldigten. Man erzwang Aussagen wider ihn. Man gestand ihm keinen Verteidiger zu, da »einem der Ketzerei Verdächtigen« kein Rechtsschutz gebühre. Man unterstellte ihm Aussagen, die er gar nicht gemacht, Lehrsätze, die er nie vertreten, die man verfälscht hatte, ja man bezichtigte ihn sogar, sich als vierte Person Gottes ausgegeben zu haben.
Kurz, Hus mochte sich verhalten, wie er wollte, man kehrte es immer gegen ihn. Schrie man ihn von allen Seiten nieder, so daß er nicht klar antworten konnte, nannte man ihn verwirrt. Setzte er sich genau auseinander, sagte man ihm Rabulistik nach und wollte nur ja oder nein von ihm hören. Schwieg er ganz, sah man darin eine Zustimmung zu Irrtümern. Und argumentierte er mit Hilfe der Kirchenväter, fand man das abwegig und rief ihn zur Sache. »Gebt mir zwei Zeilen eines beliebigen Autors«, brüstete sich nicht ohne Grund ein mittelalterlicher Inquisitor, »und ich beweise, daß er ein Häretiker ist und verbrenne ihn.« »Ich hatte gedacht«, hielt Hus einmal ruhig der Konzilsmeute entgegen, »auf diesem Konzil mehr Anstand und Ordnung zu finden!« Und berichtete den Prager Freunden: »Sie schrieen alle gegen mich, wie die Juden gegen Jesus.«
Man zieh Hus häufig der Verstocktheit, schalt ihn einen hartnäckigen »Ketzer«. Doch wiederholte er immer wieder seine Bereitschaft zur Korrektur, bot er oft dem Konzil seinen Widerruf, seinen demütigen Widerruf an, wenn es ihn eines Irrtums überführe, eines Besseren belehre, ihn aus der Bibel, den Kirchenvätern widerlege.
Noch kurz vor seinem Ende, am 5. Juli, erklärte er einer offiziellen Delegation, darunter zwei der prominentesten Kardinäle, d'Ailly und Zabarella, erschöpft und ausgemergelt, schon vom Tod gezeichnet: » ... wenn ich mir bewußt wäre, etwas gegen das Gesetz Christi und seine wahre Kirche geschrieben oder gepredigt zu haben, so würde ich – Gott ist mein Zeuge – in Demut widerrufen. Ich verlange doch nur, daß man mir bessere und annehmbarere Beweise aus der Schrift zeige, als die ich geschrieben und gelehrt habe, – dann werde ich bereitwillig widerrufen!« Und als ihn einer der Bischöfe anfuhr: »Willst du klüger sein als das ganze Konzil?«, antwortete Hus: »Ich will nicht weiser sein als das Konzil ... Gebt mir, ich bitte euch, den Geringsten aus dieser Kirchenversammlung, daß er mich eines Besseren aus der Schrift belehre, und ich will alles tun, was das Konzil von mir verlangt!«
Aber sollte er wider sein Gewissen handeln, abschwören, was er nie gesagt, das Konzil belügen? Doch genau das wünschte man, wollte ihn beugen, demütigen, wollte seinen totalen Widerruf, wollte sein Lebenswerk, die ganze gefährliche Bewegung Böhmens treffen, vernichten, »das Konzil wollte die Lüge, es nahm die Taktik der Schauprozesse des zwanzigsten Jahrhunderts vorweg: Es verlangte ein umfassendes Schuldbekenntnis auch dort, wo keine Schuld gefunden oder bewiesen worden war« (Rieder). 19
Nur zu begreiflich, daß Hus in Konstanz, den Tod vor Augen, besonders achtsam, überlegt taktierte, daß er, was wunder, große Vorsicht walten ließ, daß er »Versuchungen« ausgesetzt war, er Angst hatte, vielleicht doch abzuschwören, doch seine Glaubwürdigkeit zu verlieren, daß er auch Schwächen zeigte, Furcht, daß er manches vordem Vertretene zu entschärfen, einzuschränken suchte, daß er manchmal nicht sehr konkret replizierte,
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