Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
Am 24. hatte eine Brigade 160 Verwundete, die die Frontlinie jedoch nicht verließen. Welch wundervolle Zeit! Jetzt, nach dem 24., haben sich die Gemüter übrigens ein wenig beruhigt, in Sewastopol ist es jetzt herrlich. Der Gegner schießt fast nicht, alle sind überzeugt, er wird die Stadt nicht einnehmen, und das ist tatsächlich unmöglich. Es gibt drei Vermutungen: Entweder er geht zum Angriff über, oder er lenkt uns durch vorgetäuschte Schanzarbeiten ab, um seinen Abzug zu tarnen, oder er baut Befestigungen, um zu überwintern. Die erste Vermutung hat die geringste, die zweite die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Mir ist kein einziges Mal geglückt, zum Einsatz zu gelangen; dennoch danke ich Gott dafür, daß ich diese Menschen sehen durfte und in dieser ruhmvollen Zeit lebe. Das Granatfeuer vom 5. wird die glänzendste Ruhmestat nicht nur der russischen, sondern auch der Weltgeschichte bleiben. 71
* Getränk aus Honig und Gewürzen.
** Mit Erde gefüllte hohe Weidenkörbe.
*** Ein türkischer Begriff für eine Frau, die unpassend angezogen ist. In der osmanischen Zeit wurden damit nichtmuslimische Frauen beschrieben; außerdem hatte er einen sexuellen Beiklang, denn er besagte, dass die Frau ein Bordell führte oder selbst Prostituierte war.
**** Es ist ziemlich rätselhaft, warum die Russen angesichts einer so winzigen Verteidigungstruppe keinen rascheren und heftigeren Angriff auf Balaklawa führten. Verschiedene russische Kommandeure behaupteten später, sie hätten nicht genug Soldaten gehabt, um Balaklawa zu erobern; die Aktion habe der Aufklärung gedient oder sei ein Versuch gewesen, die alliierten Streitkräfte von Sewastopol abzulenken, und habe nicht die Einnahme des Hafens zum Ziel gehabt. Doch dabei handelte es sich um Ausflüchte für ihr Scheitern, das nach der russischen Niederlage an der Alma vielleicht durch ihr mangelndes Selbstvertrauen gegenüber den alliierten Armeen in einer offenen Feldschlacht zu erklären war.
***** Soimonow verließ sich auf eine Marinekarte ohne Landmarkierungen. Ein Mitglied seines Stabes wies ihm den Weg, indem er die Strecke mit dem Finger auf der Karte anzeigte (A. Andrijanow, Inkermanski boi i oborona Sewastopolja (nabroski utschastnika) [St. Petersburg 1903], S. 15).
****** Woods irrte sich, denn die russische Garde war nicht einmal in der Nähe der Krim.
******* Ein verständlicher Irrtum im dichten Nebel und im Unterholz auf den Anhöhen, wo sich unverletzte Soldaten auf die Erde legten, um den Feind aus dem Hinterhalt zu überfallen.
******** Tolstoi zitiert die amtlichen Zahlen, die von der Militärzensur zur Veröffentlichung freigegeben wurden. Die wirklichen russischen Verluste waren doppelt so hoch.
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General Januar und General Februar
Der Winter brach in der zweiten Novemberwoche herein. Drei Tage und Nächte lang peitschten eiskalter Wind und Regen über die Anhöhen oberhalb von Sewastopol und fegten die Zelte der britischen und französischen Soldaten weg, die, durchnässt und zitternd, im Schlamm kauerten und sich nur mit ihren Decken und Mänteln schützen konnten. Dann, in den frühen Morgenstunden des 14. November, traf ein Orkan auf die Küsten der Krim. Zelte flogen wie Papierblätter durch die Gegend, Kisten, Fässer, Truhen und Wagen wurden umgestürzt, Zeltstangen, Decken, Hüte und Mäntel, Stühle und Tische wirbelten herum, verängstigte Pferde rissen sich los und preschten in Panik durch die Lager, Bäume wurden entwurzelt, Fenster zertrümmert, und Soldaten rannten in alle Richtungen, um ihre Habe und ihre Kleidung zu erhaschen, oder sie suchten verzweifelt nach einem Unterschlupf in dachlosen Scheunen und Ställen, hinter den Redouten oder in Erdlöchern. »Ein ganz und gar lächerliches Bild: Die Zelte waren eingestürzt, und man entdeckte den einen oder anderen im Bett, manche, wie mich, in … Hemdsärmeln … Alle waren klatschnass und brüllten nach ihren Burschen«, schrieb Charles Cocks von den Coldstream Guards seinem Bruder am 17. November. »Der Wind war entsetzlich, und wir konnten unsere Zelte nur dadurch davon abhalten, nach Sewastopol zu fliegen, dass wir uns mit ausgestreckten Gliedmaßen auf sie legten.« 1
Den ganzen Morgen hindurch tobte der Sturm. Erst um 14 Uhr legte sich der Wind, so dass die Männer aus ihren Verstecken hervorkommen und ihre verstreuten Habseligkeiten einsammeln konnten: feuchte und schmutzige Kleidungsstücke und Decken, kaputte Möbelteile, Kochgeschirr und andere auf dem
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