Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
miteinander debattierten … Auch lauschte ich gern den freundlichen Worten, mit denen der Arzt sie bedachte. »Mon garçon« oder »mon brave« strahlte, wenn er sich ihm näherte.
Hauptmann Herbé wurde im Lauf des Jahres ebenfalls in dieses Krankenhaus eingeliefert. Er beschrieb den Tagesplan in einem Brief an seine Familie:
Schokolade am Morgen, Mittagessen um 10 Uhr und Abendessen um 5 Uhr. Der Arzt kommt vor 10 Uhr, eine weitere Visite findet um 16 Uhr statt. Hier ist die Speisekarte von heute Morgen:
Très bon potage au tapioca
Cotelette de mouton jardinière
Volaille rotie
Pommes de terre roties
Vin de Bordeaux de bonne qualité en carafe
Raisins frais et biscuits
Gewürzt durch den Meereswind, der durch unsere großen Fenster weht, ist dieses Menü, wie Ihr Euch vorstellen könnt, sehr tröstlich und sollte unsere Gesundheit bald wiederherstellen. 18
Die französischen Sterbeziffern durch Wunden und Krankheiten waren im ersten Kriegswinter erheblich niedriger als die britischen (allerdings nicht im zweiten Kriegsjahr, als die französischen Verluste durch Krankheiten horrend anstiegen). Von der Reinlichkeit französischer Krankenhäuser abgesehen, war es entscheidend, dass sich Behandlungszentren in der Nähe der Front befanden und jedes Regiment über Sanitäter, das heißt über Soldaten mit einer Erste-Hilfe-Ausbildung ( soldat panseurs ), verfügte, die ihren verwundeten Kameraden auf dem Feld helfen konnten. Der große Fehler der Briten bestand darin, dass die meisten ihrer Kranken und Verwundeten von der Krim nach Scutari transportiert wurden – eine lange und beschwerliche Reise mit überfüllten Frachtern, die selten mehr als zwei Sanitätsoffiziere an Bord hatten. Raglan hatte sich aus rein militärischen Gründen für dieses Verfahren entschieden (»damit uns die Verwundeten nicht im Weg sind«) und hörte nicht auf Einwände, dass die Verwundeten und Kranken für eine so lange Reise nicht tauglich seien und so rasch wie möglich behandelt werden müssten. Auf einem Schiff, der Arthur the Great , wurden 384 Männer, ähnlich wie früher auf Sklavenschiffen, möglichst dicht nebeneinander auf den Decks aufgereiht, wobei die Toten und Sterbenden neben den Verwundeten und Kranken lagen; es gab keine Bettwäsche, Kissen oder Decken, Wasserschüsseln oder Bettpfannen, Lebensmittel oder Medikamente außer denen im Laderaum des Schiffes, deren Verwendung der Kapitän nicht erlaubte. Aus Furcht vor einer Ausbreitung der Cholera befahl Kapitän Peter Christie, der Transportbeauftragte der Flotte, alle kranken Männer an Bord eines einzigen Schiffes, der Kangaroo , zu bringen, die bestenfalls Platz für 250 Personen hatte. Doch als sie nach Scutari in See stechen sollte, waren vielleicht 500 Mann an Bord untergebracht. »Ein furchtbares Bild bot sich uns, denn die Toten und Sterbenden, die Kranken und Genesenden lagen alle zusammen durcheinander auf dem Deck«, meinte Henry Sylvester, ein 23-jähriger Assistenzarzt und einer von nur zwei Sanitätsoffizieren an Bord. Der Kapitän weigerte sich, mit einem derart überfüllten Schiff auszulaufen, doch schließlich legte die Kangaroo mit fast 800 Patienten ab, jedoch ohne Sylvester, der mit der Dunbar nach Scutari segelte. Die Zahl der Opfer auf diesem Schiff war erschreckend: Auf der Kangaroo und der Arthur the Great verzeichnete man jeweils 45 Todesfälle; auf der Caduceus starb ein Drittel der Passagiere, bevor sie die Krankenhäuser von Scutari erreichten. 19
Auch die Russen begriffen, dass die Verwundeten so bald wie möglich behandelt werden mussten, obwohl der Zustand ihrer Krankenhäuser weit schlechter war als alles, was Florence Nightingale in Scutari vorfinden sollte. Es war sogar ein Russe, Nikolai Pirogow, der das System der Feldchirurgie erfand, das andere Nationen erst im Ersten Weltkrieg einführten. Pirogow, der außerhalb Russlands, wo er als Nationalheld gilt, kaum bekannt ist, leistete während des Krimkriegs einen mindestens ebenso bedeutenden Beitrag zur Schlachtfeldmedizin wie Florence Nightingale.
Nikolai Pirogow
1810 in Moskau geboren, nahm Pirogow bereits mit 14 Jahren sein Medizinstudium an der Moskauer Universität auf und wurde mit 25 Jahren Professor an der Deutschen Universität in Dorpat, bevor man ihn an der Akademie für Militärmedizin in St. Petersburg zum Professor für Chirurgie berief. 1847 begleitete er die russische Armee im Kaukasus, wo er als einer der ersten Ärzte mit Äther experimentierte und
Weitere Kostenlose Bücher