Krimkrieg: Der letzte Kreuzzug (German Edition)
schmerzhaft und demütigend empfunden. Russland hatte die Regelung von 1815 und die Wiederherstellung der Bourbonendynastie in Frankreich maßgeblich beeinflusst. Der Zar war der Feind der Freiheit und ein wichtiges Hindernis für die Entwicklung unabhängiger Nationalstaaten auf dem europäischen Kontinent. Zudem erkannte er als einziger Souverän den neuen Napoleon nicht als Kaiser an. Großbritannien, Österreich und Preußen waren bereit, ihm diesen Status einzuräumen, wenn auch widerwillig im Fall der beiden Letzteren, doch Nikolaus weigerte sich mit der Begründung, Kaiser würden von Gott berufen und nicht durch Volksabstimmungen gewählt. Der Zar zeigte seine Verachtung für Napoleon, indem er ihn als »mon ami« anredete, nicht als »mon frère«, was die übliche Begrüßung für ein anderes Mitglied der europäischen Familie herrschender Monarchen gewesen wäre. * Einige von Napoleons Beratern, vor allem Persigny, wollten, dass er die Beleidigung benutzte, um ein Zerwürfnis mit Russland herbeizuführen. Der französische Kaiser wollte jedoch seine Herrschaft nicht mit einem persönlichen Streit beginnen und ging mit der Bemerkung darüber hinweg: »Gott schenkt uns Brüder, wir aber wählen unsere Freunde.« 4
Für Napoleon diente der Konflikt mit Russland im Heiligen Land als Mittel dazu, Frankreich nach den Umwälzungen von 1848/49 wiederzuvereinigen. Die revolutionäre Linke ließ sich mit dem Staatsstreich und dem Zweiten Kaiserreich versöhnen, wenn sie einen patriotischen Freiheitskampf gegen den »Gendarmen von Europa« führte. Was die katholische Rechte betraf, so setzte sie sich seit langem für einen Kreuzzug gegen die orthodoxe Ketzerei ein, die das Christentum und die französische Kultur bedrohte.
In diesem Zusammenhang ernannte Napoleon den erzkatholischen La Valette zum französischen Botschafter in Konstantinopel. La Valette war Mitglied einer mächtigen geistlichen Lobby am Quai d’Orsay, dem französischen Außenministerium, die laut Persigny den Einsatz im Streit um das Heilige Land erhöhte:
Unsere Außenpolitik wurde häufig durch eine geistliche Lobby ( coterie cléricale ) erschwert, die sich in die geheimen Winkel des Außenministeriums einschlich. Am 2. Dezember war es nicht gelungen, sie zu entfernen. Im Gegenteil, sie wurde noch waghalsiger und nutzte die Tatsache, dass wir mit inneren Angelegenheiten beschäftigt waren, um unsere Diplomatie in die Komplikationen der heiligen Stätten zu verwickeln, wo sie ihre kindischen Erfolge als nationale Triumphe feierte.
La Valettes aggressive Bekanntmachung, dass die lateinischen Rechte auf die heiligen Stätten »eindeutig etabliert« seien, verbunden mit seiner Drohung, die französische Flotte werde diese Ansprüche gegenüber Russland durchsetzen, stieß bei der ultrakatholischen Presse in Frankreich auf Zustimmung. Napoleon selbst war gemäßigter und versöhnlicher, was den Disput um das Heilige Land betraf. Dem Leiter des Politischen Direktorats, Édouard-Antoine de Thouvenel, gestand er, dass er über die Einzelheiten der umstrittenen Ansprüche nicht informiert sei und es bedauere, dass der religiöse Konflikt »über alle Maßen aufgebauscht« worden sei (was zutraf). Sein Bedürfnis, sich bei den Katholiken in der Heimat beliebt zu machen, sowie seine Pläne für ein Bündnis mit Großbritannien gegen Russland bedeuteten freilich auch, dass es nicht seinem Interesse entsprach, La Valettes provozierendes Verhalten zu mäßigen. Erst im Frühjahr 1852 beorderte er den Botschafter endlich aus der türkischen Hauptstadt zurück, und auch dann erst, nachdem sich Lord Malmesbury, der britische Außenminister, über La Valette beschwert hatte. Doch selbst danach noch setzten die Franzosen ihre Kanonenbootpolitik fort, um den Sultan zu Konzessionen zu zwingen. Sie waren zuversichtlich, dass dies den Zaren erzürnen würde, und hofften, dass die Briten keine andere Wahl hätten, als sich mit Frankreich gegen die russische Aggression zu verbünden. 5
Die französische Taktik machte sich bezahlt. Im November 1852 traf die Hohe Pforte eine neue Regelung, die den Katholiken das Recht gewährte, einen Schlüssel zur Geburtskirche in Bethlehem zu besitzen; außerdem hatten sie nun freien Zugang zur Krippenkapelle und zur Geburtsgrotte. Da Canning in England weilte, erklärte der britische Chargé d’affaires in Konstantinopel, Oberst Hugh Rose, die Regelung damit, dass die Charlemagne , das neueste Kanonenboot in der französischen
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