Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
Schlachtschiffs da draußen findet man eine ausgewachsene medizinische Ambulanz. Der Fahrer hat zwar keine Zulassung als Hirnchirurg, aber ich wette, dass er es gern mal probieren würde.«
Kris stützte die Ellbogen auf den Tisch, legte das Kinn in beide Hände und klimperte dramatisch mit den Wimpern. »Wenn ich dir zuhöre, klingt meine Kindheit im Rückblick ziemlich, na ja, erfreulich.«
»Ach, komm schon, es kann nicht so toll gewesen sein! Niemand hat eine schöne Kindheit. Das steht so in allen Büchern.«
Und so nahm das Mittagessen seinen Lauf; beide zeigten sich munter bestrebt, den anderen zu übertreffen, was die Tiefpunkte ihres Aufwachsens anging. Kris hatte noch nie Gelegenheit zu diesem Spiel erhalten; es ist schwer, mitfühlende Zuhörer zu finden, wenn man selbst von den engsten Freunden beneidet wird. Auf der Universität hatte Kris schnell gelernt, dass nicht einmaldiejenigen, denen sie sich ganz öffnete, glauben mochten, eine Longknife könne jemals einen Grund zu klagen haben.
Die Mahlzeit ging erstaunlich schnell vorüber, und als Kris sich entschuldigte, um den Raum für kleine Mädchen aufzusuchen, stellte sie erschrocken fest, dass zwei Stunden vergangen waren. Sie wusch sich die Hände und betrachtete sich dabei im Spiegel. Die Nase war kein bisschen kleiner geworden, und angesichts dessen, was das Wetter mit ihrer Haut anstellte, wäre ihre Mutter schnurstracks ins nächste Wellnessstudio gerannt. Die kurz geschnittenen Haare sahen nicht ganz so schlimm aus wie die mancher Vogelscheuchen. Trotzdem erwärmte sich Hank erkennbar für sie. Das war mal jemand, der sicher nicht hinter ihrem Geld her war, wenn man Tantchen Trus Kontoeinblicken vertrauen konnte. Natürlich war Tantchen Tru überzeugt, dass er oder zumindest seine Familie ihren Tod wünschte.
Kris warf die Papierhandtücher in den Abfallkorb und nahm die Lotionen, Sprays und anderen Kosmetika in Augenschein, die neben dem Waschbecken bereitstanden. Sie verwarf die Idee, den Ensign auf die Schnelle in eine Reklameschönheit umzuwandeln, und kehrte an den Tisch zurück. Hank sprach gerade in den Kommlink, der in die Anzugmanschetten eingebaut war. »Schickt die nächsten drei Lieferungen, so schnell ihr könnt«, sagte er und stand auf, um Kris zu empfangen. »Wenn du dir Zeit für ein Dessert nimmst, denke ich, wirst du anschließend ein paar sehr hübsche Geschenke auf dem Landeplatz vorfinden.«
Der Kellner hatte bereits einen Servierwagen gebracht, bedeckt mit einer Auswahl an Schokolade, Obst und süßem Backwerk, bei der einem das Wasser in der Seele ebenso zusammenlief wie im Mund. Kurz geschnuppert, und Kris wusste gleich, dass das alles kein Imitat aus Plastik war, sondern ein echter Hochgenuss. Der Schalk saß ihr auf einmal im Nacken, wie es Harveys Frau ausgedrückt hätte. »Danke, lassen Sie den Servierwagen einfach hier stehen. Holen Sie in einer Stunde die Brösel ab«, lächelte sie.
»Sie haben gehört, was die Dame sagte«, verkündete Hank und gab dem jungen Mann mit einem Wink zu verstehen, er möge sich entfernen.
»Nein, nein, nein!«, sagte Kris. »Ich bin schon viel zu voll, um heute Nachmittag noch viel Arbeit zu leisten. Haben Sie ein Sorbet im Angebot?«
»Himbeere, Erdbeere oder Zitrusmix«, antwortete der Kellner.
»Zitrusmix«, sagte Kris.
»Das Gleiche für mich«, sagte Hank, warf jedoch einen sehnsüchtigen Blick auf den Servierwagen, während dieser weggefahren wurde.
»Nur weil ich verzichte, muss ein Junge wie du, der noch wächst, es ja nicht auch tun«, gab Kris zu bedenken.
»›Disziplin‹, sagt Dad. ›Diszipliniere dich selbst, denn niemand sonst wird oder kann es tun‹«, zitierte Hank. »Ich vermute, du hast schon herausgefunden, dass man selektiv vorgehen muss, wenn man gegen erfolgreiche Eltern rebelliert. Nicht alles, was sie uns weitergegeben haben, ist Quatsch.«
»Ah, ja«, antwortete Kris ehrlich, »aber die Spreu vom Weizen zu trennen, das kann sich als die Aufgabe eines ganzen Lebens erweisen.«
»Bist du deshalb zur Navy gegangen?«
»Bist du deshalb nach Olympia gegangen?«
»Ich bin hier, um mit eigenen Augen zu sehen, was getan werden muss.«
»Ja, aber warum tust du es überhaupt? Dein Vater kann nicht allzu glücklich darüber sein, dass du auf dem Weg zu dieser Eröffnung einen solchen Umweg machst«, sagte Kris und verwandelte damit die ganzen Gemeinplätze, die sie über dem Mittagessen ausgetauscht hatten, in ein sehr konkretes Warum bist du hier?
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