Kris Longknife: Die Rebellin: Roman (German Edition)
übernommen hatte, seit er nicht mehr der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs auf Savannah war. Ray hatte den größten Teil der zurückliegenden vierzig Jahre seit seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Leben mit seiner jüngsten Tochter Alnaba, einer Forscherin, auf Santa Maria zugebracht; so weit vom Rest der Menschheit entfernt wie nur möglich. Kris hörte immer wieder, dass sie kurz davorstanden, das Rätsel Der Drei zu knacken, jener drei Lebensformen, die die Sprungpunkte zwischen den Planeten gebaut hatten. Bislang jedoch Fehlanzeige. Vielleicht war Opa Ray also letztlich doch auf etwas gestoßen, womit er nicht fertig wurde.
»Wenn ich die Soldaten, die im Haus Nuu herumlaufen, richtig identifiziert habe, dann sind es Marines von der Erde.« Kris ertappte sich dabei, wie sich der Hauch eines Lächelns auf ihre Lippen schlich, während sie forschend ihren Vater betrachtete.
»Wen sie dort treffen, erfahren nur die, die es wissen müssen, junge Frau. Muss ich dich daran erinnern, dass du zur Navy gehörst und ich dich notfalls zur Tankstation auf Erfrorener Hund versetzen kann?«, gab der Premierminister zu bedenken. »Und Darling, du hättest nicht davon sprechen müssen, dass meine Großväter hier sind«, setzte er an Mutter gewandt hinzu.
»Du hast sie zu dem Empfang morgen eingeladen.« Mutter schmollte. »Es kann also gar nicht so geheim sein.«
»Zu dem Zeitpunkt müssten sie fertig geworden sein«, entgegnete der Premierminister, einen Hauch Traurigkeit im Ton. »Bis dahin möchten wir vermeiden, dass es auf allen Kanälen hinausposaunt wird.«
»Ihr teilt also die Flotte auf«, sagte Kris, überrascht darüber, dass sie sich überwinden konnte, das auszusprechen.
Vater erbleichte; wenn er an etwas glaubte, dann an die Einheit. Er war absolut überzeugt, dass die Menschheit als Einheit zu den Sternen ziehen musste. Und die Society war die Verkörperung dieser Einheit. »Meine Politik ist es«, sagte er und legte sich dramatisch die Hand aufs Herz, »wie es von jeher die Politik aller Premierminister von Wardhaven ist, seit wir in die Gesellschaft der Menschheit aufgenommen wurden, dass die Menschheit als ein geschlossenes Volk zu den Sternen ziehen muss.« Vater wiederholte damit Worte, die Kris schon hundert Mal von ihm gehört hatte. Heute fehlten jedoch die Energie und die Zuversicht, dass diese Politik von Bestand sein würde.
Kris zitterte, und ihre Reaktion erschreckte sie. Vor dem inneren Auge sah sie die grüne und blaue Flagge der Erde und ihrer Society of Humanity am Flaggenmast niedersinken, wie es jedes Mal bei Sonnenuntergang geschah. Bei dem Gedanken, dass es irgendwann einmal Morgen würde, ohne dass die Flagge wieder aufgezogen wurde, fror sie. Wie oft hatten sie und ihre Freunde über eine neue und passendere Rolle für die Society diskutiert? Jetzt wurde der Inhalt dieser Gespräche Wirklichkeit.
»Wie hätte die Reaktion ausgesehen, wenn nicht nur ein kleines Mädchen von billigem Abschaum von der Erde entführt worden wäre, sondern auch eine Longknife bei dem Versuch ums Leben gekommen wäre, es zu befreien?« Die Worte entwichen eiskalt dem logischen Teil von Kris’ Gehirn. Sie waren ihr schon über die Lippen gekommen, ehe ihr wieder einfiel, dass Mutter auf der anderen Seite Tommys saß. Mutter warf Kris einen versteinerten Blick zu, aber Kris ignorierte ihn. »Herr Premierminister«, sagte Kris, um zu demonstrieren, dass sie nicht eingeschüchtert war.
Die Hand, die auf seinem Herz geruht hatte, fuhr jetzt mit einer besorgten Geste über die Stirn. »Es hätte einen Aufschreigegen die Erde gegeben«, sagte er langsam. »Es hätte mir die Arbeit sehr erschwert.«
»Und es hätte mehrere verschiedene Koalitionen gestärkt, nicht wahr?«, warf Tru ein.
»Ja.«
»Einschließlich der Smythe-Peterwalds von Greenfeld?«, fragte Tru.
Jetzt wiegte Vater doch wieder den Schaukelstuhl nach hinten.
»Oh, die Peterwalds sind eine so nette Familie! Henry und ich hatten auf dem College eine Beziehung. Er hat mir in einer wunderschönen mondhellen Nacht einen Antrag gemacht.«
»Ja, Mutter, das wissen wir alle noch!«, blaffte Kris, ohne den Blick von ihrem Vater zu wenden. »Herr Premierminister«, wiederholte sie, wollte erfahren, was in seinem Politikerverstand vor sich ging.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Kein Angehöriger irgendeiner Regierung hätte das riskiert. Keine Politik ist ein solches Risiko wert. Und könnte man das zu einer amtierenden Regierung
Weitere Kostenlose Bücher