Kris Longknife: Unter Quarantäne: Roman (German Edition)
»Ich könnte die Wachen rufen.«
»Und wir wissen dann nach wie vor nichts weiter über die Hand, mit der wir spielen müssen, oder über die Karten, die Sandfire hält. Bleiben wir aber ahnungslos, dann verlieren wir.«
»Ich könnte gehen.«
Das stoppte Kris einen Augenblick lang. »Nur Nelly kann die Naniten steuern. Du müsstest viel mehr Gespräche führen als ich.«
»Dann begleite ich dich wenigstens.«
»Jack, das verdoppelt nur das Risiko des Scheiterns. Solange du hier die Tür öffnen kannst, wird man davon ausgehen, dass ich mich in der Suite aufhalte. Ziehen wir jedoch beide los …«
Jack schnitt ein finsteres Gesicht. »Wenn du zusammengeschlagen wirst, lässt man mich nie wieder mit dir zusammenarbeiten.«
Darauf blieb Kris erst mal stumm. Sie hatte nie daran gedacht, dass Jack vielleicht für das bestraft würde, was sie unternahm. Sie hatte noch nie zu erkennen gegeben, wie sehr sie seine Gesellschaft schätzte. Sie würde darüber nachdenken müssen, aber nicht jetzt.
»Ich bin vorsichtig«, versprach sie und stand auf.
Jack griff nach ihrer Hand. Sie zog sie zurück, und er drehte seine um und zeigte damit ein Bündel Geldscheine. »Die wirst du brauchen.«
Kris steckte das Geld ein und ging zum Ausgang. Toms Zimmertür war geschlossen, und Kris konnte nicht sehen, wie es Penny ging. Sie öffnete die Ausgangstür gerade weit genug, um hinauszuschlüpfen … und sah sich einem Wachmann auf der anderen Seite des Flurs gegenüber. Mit gerunzelter Stirn blickte er sie fragend an. Kris schloss den Regenmantel über der Dienstmädchenuniform, unterdrückte ein Gähnen und nuschelte: »Lange Nacht.«
Das Stirnrunzeln des Wachmanns vertiefte sich kurz. Dann wurde seine Miene neutral, und Kris konnte beinahe sehen, wie er sich selbst zu vergessen anwies, dass er jemals gesehen hatte, wie ein Dienstmädchen so früh am Morgen aus der Suite schlich. Das waren nun mal die Privilegien von Personen, die in solchen Suiten wohnten. Sie konnten dafür sorgen, dass einfache Leute in braunen Dienstmädchenuniformen aus dem Blickfeld anderer Menschen verschwanden. Kris würde über vieles nachdenken müssen, sobald diese Sache überstanden war.
Sie zog das Barett tiefer und eilte zum Lastenaufzug. Dieser brachte sie hinab zum Servicedeck, das bei einem planetaren Hotel ein Untergeschoss gewesen wäre. Einen Pausen- und Umkleideraum fand sie zu ihrer Rechten, die Rückwand der Küche zu ihrer Linken. Ihr fiel auf, dass von dort ganz andere Gerüche abgesondert wurden, als man sie vom Speiseraum kannte.
Eine neue Schicht trat ihren Dienst an; Kris drückte sich mit gesenktem Kopf an den Leuten vorbei. Es musste hier ziemlich viel Personalwechsel geben, denn niemand nahm von ihr Notiz. Schnell war sie zur Hintertür hinaus auf einen Servicekorridor gelangt, der nach Abfall stank und den man gerade mit einem Schlauch gereinigt hatte. Sie folgte diesem Gang zwischen grauen Wänden und farbcodierten Rohren an der Decke zu einem für das Dienstpersonal bestimmten Gleitweg, der sie zu Haltepunkt Eins trug – dem Fahrstuhlzugang. Kris bezahlte ihr Ticket in bar und fand einen abgelegenen Platz auf dem Hauptdeck der Fähre.
»Geld«, flüsterte sie vor sich hin. Sie hatte ihren Kreditnachweis, aber dieser hätte eine vergoldete Fährte hinterlassen, die direkt zu ihr führte. Wie hatte sie nur so etwas Grundlegendes wie Geld vergessen können? Sachte, Kid! Es hat dir eben einfach nie daran gemangelt, beruhigte sie sich finster.
Auf halbem Weg nach unten ging sie auf die Damentoilette, um Makeup aufzulegen. Mit Puder dunkelte sie die Haut ab.Mit dem Stift erzeugte sie Sorgenfalten auf der Stirn und um die Lippen. Wimperntusche ließ die Augen größer erscheinen, und Kontaktlinsen sorgten für eine braune Augenfarbe. Eine aufgeblähte Nase, ein Muttermal auf der rechten Stirnseite und eines auf der linken Wange müssten selbst Software zur Gesichtserkennung aus der Bahn werfen, sofern sie auch nicht vergaß, die vollen Lippen einzuziehen. Sie zog die Schultern hoch und nahm eine gebückte Haltung an, um die Körpergröße zu verringern, verließ die Toilette, durchquerte den Speisesaal und stieg zum Aussichtsdeck hinauf. Wie sie es auch von der Wardhaven-Fähre her kannte, herrschte zu früher Stunde, in der vor allem arbeitende Menschen unterwegs waren, wenig Betrieb. Kris setzte sich in eine Ecke, klappte eine Zeitung vom Vortag auf, die jemand liegen gelassen hatte, und versuchte, die fünf anderen
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