Krisenfest leben
schreien völlig unvermittelt jemanden an. In Schüben wallen Trauer, Wut und Furcht auf, dann wieder fühlt sich alles wie betäubt an. Wir erleben Momente, in denen wir nur lethargisch vor uns hinstarren und uns auch zu nichts weiter in der Lage fühlen. Unruhe, Schreckhaftigkeitund Angst münden immer wieder in eine tiefe Erschöpfung, in der alles trübe und sinnlos erscheint und wir den Eindruck haben, völlig orientierungslos zu sein.
Meist sind in dieser Phase auch die natürlichen Körperrhythmen aus dem Takt geraten. Wir können schlecht einschlafen, wachen nachts immer wieder auf oder kommen morgens kaum aus dem Bett. Vielleicht fällt es überhaupt schwer, zur Ruhe zu kommen, oder wir fühlen uns so kraftlos, dass wir uns kaum von der Stelle bewegen können und jeden Handgriff als anstrengend erleben. Vielleicht essen wir zuviel und haben regelrechte Heißhungerattacken – oder aber wir bekommen keinen Bissen hinunter. Kopfschmerzen, Verspannungen, Atembeschwerden, Magenprobleme, Kreislaufstörungen … Der Körper zeigt sich in einer akuten Krise oft ebenso belastet wie die Psyche und auch die Denk- und Konzentrationsfähigkeit.
In einem solchen Zustand haben die meisten Menschen an nichts mehr richtig Freude, sind tief entmutigt und vielleicht sogar überzeugt davon, nie wieder Glück empfinden zu können. Die Gedanken kreisen fast ununterbrochen um das Geschehene. Was um uns herum passiert, erscheint uns weit weg, wie ein Film, den wir an uns vorüberziehen sehen und an dem wir uns nicht beteiligt fühlen.
Der Weg von der Wahrnehmung zur Akzeptanz ist die schmerzvollste und schwierigste Phase in der Krisenbewältigung. Es ist verständlich, hier ausweichen zu wollen, um diesen heftigen Stimmungsschwankungen und ihren Begleiterscheinungen zu entgehen. Schließlich geben wir uns im Leben ohnehin meist ziemliche Mühe, schmerzhafte Gefühle nicht fühlen zu müssen.
Hadern mit dem Schicksal verlängert den Schmerz
Die Versuchung ist groß, mit dem Schicksal zu hadern und sich immer wieder zu fragen: »Warum gerade ich?«, »Warum musste ausgerechnet mir so etwas zustoßen?« Das Unglück wird wie eine (ungerechtfertigte) Strafe empfunden. Manchmal beginnt man auch, andere dafür anzuklagen.
Eine solche Reaktion mag für den Moment erleichtern, sie blockiert jedoch das Vermögen, das Geschehene zu reflektieren, und zementiert so letztlich das Unglück. Dies verhindert auch eine Neuorientierung. Der Berliner Psychiater Michael Linden hat dafür den Begriff »Posttraumatische Verbitterungsstörung« geprägt und meint damit vor allem auch die mangelnde Bereitschaft, erfahrenes Leid loszulassen. Mit dem Schicksal zu hadern, wegzulaufen, sich zu betäuben oder die Decke über den Kopf zu ziehen hilft nicht, zumindest nicht dauerhaft. Tatsächlich ist der Rückzug in die Passivität eines der größten Hindernisse auf dem Weg dahin, die innere Balance wiederzufinden.
Nehmen Sie sich Zeit, sich auf die veränderte Situation einzustellen.
Erwarten Sie nicht, dass die Erinnerungen an das Geschehen irgendwann wie durch Zauberhand ausgelöscht sein werden. Die Zeit wird zwar tatsächlich »Wunden heilen«, doch vieles wird uns immer wieder an das Geschehen erinnern und die damit verbundenen Gefühle erneut wachrufen. Es wird eine Weile dauern, bis Sie sich mit der veränderten Realität tatsächlich arrangiert haben. Nehmen Sie es daher als gegeben hin, jetzt noch keinen Ausweg zu sehen, keine Lösung zu wissen und immer wiederErinnerungen ausgesetzt zu sein. Sagen Sie sich selbst etwas wie: »Ich stecke momentan in einer schwierigen Lage, das macht mir Angst. Manchmal bin ich auch traurig oder wütend darüber. Das ist jetzt so. Ich will und darf mir Zeit lassen, Abstand dazu zu finden.«
Abstand finden in der Natur
Gehen Sie hinaus in die Natur, zu einem Fluss oder Bach und lassen Sie sich am Ufer nieder. Betrachten Sie das Wasser, wie es plätschert und strömt, wie immer neue Wellen kommen und gehen. Das Fließen des Wassers erinnert daran, dass wir nichts im Leben festhalten können. Nicht das Schöne und auch nicht das Schlimme. Das Leben ist ständig im Wandel, wie dieser Bach oder Fluss. Das Wasser fließt und fließt, ob es Ihnen gefällt oder nicht. Es ist einfach so. Und so ist es auch mit dem Leben …
Die Natur mit ihren Lebensrhythmen, die sich seit Jahrtausenden Tag um Tag, Jahr um Jahr wiederholen, kann uns auf einfache Weise dabei unterstützen, unsere eigenen Rhythmen wiederzufinden.
Weitere Kostenlose Bücher