Kristall der Macht
auf den Rücken und hielt sie fest, während er mit einer Hand etwas von ihrem Bein löste, das wie ein kleines Röhrchen aussah. Danach ließ er die Taube wieder frei, öffnete das Röhrchen und zog ein zusammengerolltes Pergament daraus hervor, das er aufmerksam studierte.
Eine Botschaft! Taro staunte nicht schlecht, als er den Zusammenhang erkannte. Die Tauben waren mehr als nur Arkons Freunde. Sie waren Boten. Wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, hätte Taro es nicht für möglich gehalten. So aber konnte er nur staunen. Irgendjemand schrieb Arkon Botschaften, die von den Tauben überbracht wurden. Und ganz sicher schrieb Arkon auch Antworten. Heimlich natürlich. Das erklärte auch seine Vorsicht. Taro spürte, wie sein Herz heftig zu pochen begann, als ihm das ganze Ausmaß dessen, was er gerade gesehen hatte, bewusst wurde. Wenn niemand etwas von dem wissen durfte, was Arkon tat, dann konnte das nur eines bedeuten: Arkon war ein Verräter!
2
Ein erster, einsamer Sonnenstrahl brach durch die bleigraue Wolkendecke des erwachenden Morgens und ließ die Oberfläche des Meeres wie poliertes Metall glänzen. Die Luft war kühl und feucht und erfüllt von den Gerüchen nach Seetang und feuchtem Sand.
Noelani nahm einen tiefen Atemzug, ließ die Luft beim Ausatmen als helle Wolke zum Himmel aufsteigen, schaute sich um und nickte zufrieden. Die kleine Gruppe, die am Abend aufgebrochen war, war immer noch beisammen. Wie sie es erhofft hatte, hatte der Mond ihnen genügend Licht gespendet, um die Nacht hindurch zu marschieren. Als der Morgen graute, hatte er sein Antlitz hinter dem Horizont verborgen, während von Osten Wolken herangezogen waren und den Sonnenaufgang verborgen hatten.
Sie waren sieben: Jamak, zwei junge Frauen und vier Männer, von denen einer Samui war, der Mann, der am Abend zuvor einen heftigen Wortwechsel mit Jamak ausgefochten hatte. Sie alle hatten darauf bestanden, Noelani zu begleiten, die meisten, ohne Gründe zu nennen. Allein Samui hatte offen gesagt, dass er weder zur Maor-Say noch zu ihrem Berater Vertrauen habe und deshalb mitkommen wolle. Die anderen Flüchtlinge waren am Strand zurückgeblieben, weil sie verletzt oder zu schwach waren, um die ganze Nacht hindurch zu marschieren, oder auch, weil ihnen ihr Schicksal schlichtweg gleichgültig war.
Noelani war das nur recht. Angesichts der unsicheren Lage in der Hauptstadt war es in ihren Augen wenig ratsam, mit einer Horde von mehr als einhundertdreißig Flüchtlingen überraschend in die Stadt einzufallen. Eine kleine Abordnung von acht Menschen, so hoffte sie, würde weniger Aufsehen erregen und keine vorzeitige Ablehnung erfahren.
Bis auf Jamak wusste niemand, was sie vorhatte. Sie hatte den anderen nur erklärt, dass sie beim König vorsprechen und ihn um Hilfe bitten wolle. Damit schienen alle zufrieden zu sein – bis auf Samui, der schon vor dem Aufbruch Zweifel an dem Erfolg von Noelanis Plänen geäußert hatte. Nun schloss er zu ihr auf, ging eine Weile schweigend neben ihr her und fragte schließlich: »Wie weit ist es noch?«
»Hinter der Landzunge dahinten müssten wir die ersten Vorboten der Stadt erkennen können.« Noelani hob den Arm und deutete voraus. »Die Stadt liegt auf einer Anhöhe ein Stück im Landesinnern. Zwei halbmondförmige Steinwälle reichen weit ins Meer hinaus, um die Hafenanlage bei Sturm zu schützen. Sie sind es, nach denen du Ausschau halten musst.«
»Aha.« Die knappe Antwort verriet Noelani, dass Samui noch etwas anderes auf dem Herzen hatte. Sie fragte aber nicht nach, sondern stapfte weiter neben ihm her und wartete darauf, dass er erneut das Wort an sie richtete.
»Warum sollten sie uns helfen?«, fragte er schließlich nach einigem Zögern.
»Warum nicht?«, erwiderte Noelani. Sie hatte solch eine Frage erwartet, aber auch nach reiflichem Überlegen keine passende Antwort darauf gefunden.
»Der Kapitän des Schiffes sagte, dass es den Menschen hier nicht gut geht«, gab Samui seine Gedanken preis. »Wenn sie selbst kaum etwas besitzen, werden sie schwerlich etwas für uns entbehren können.«
»Ich werde nicht die Menschen um Hilfe bitten, sondern den König«, sagte Noelani. »Aus den Überlieferungen der Seefahrer, die einst vor Nintau ankerten, wissen wir, dass Könige sehr wohlhabend sind. Ich bin sicher, dass er uns helfen wird.«
»Wenn er wirklich so reich ist, sollte er dann nicht erst einmal seinem eigenen Volk helfen?« Samui ließ nicht locker.
»Schwer zu
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