Kristall der Macht
verwirrt.
»Auf wessen Befehl?«
»Auf Befehl des Königs.«
»Der König ist nicht hier.« Triffin war so wütend, dass er sich kaum noch beherrschen konnte.
»Aber Fürst Rivanon hat …« Der Hauptmann brach ab, weil Triffin ihn abrupt losließ und wortlos davonstapfte.
Rivanon! Natürlich! Triffin schnaubte verächtlich. Das hätte er sich auch denken können. Wer sonst wäre in der Lage, die Truppen ohne Absprache in Bewegung zu versetzen. Wer sonst wäre kaltblütig genug, getroffene Vereinbarungen zu brechen, um eigene Interessen durchzusetzen. Was hier geschah, lag weit jenseits dessen, was den Fremden zugesagt worden war. Rivanon würde ihm einiges zu erklären haben.
Zehn Minuten später entdeckte er den Fürsten inmitten einer Gruppe von Befehlshabern. Triffin war inzwischen so aufgebracht, dass er nicht einmal davor zurückgeschreckt wäre, dem König seine Wut offen ins Gesicht zu schleudern. Rücksichtslos bahnte er sich einen Weg durch die Umstehenden, indem er sie einfach zur Seite drängte oder ihnen grob einen Stoß versetzte.
Rivanon bemerkte Triffin erst, als dieser vor ihm stand. »Ah, mein lieber Triffin«, sagte er mit strahlendem Lächeln. »Bist du endlich aus dem Rausch erwacht? Der Wein gestern …«
Triffins Fausthieb setzte Rivanons Lächeln und den Worten ein jähes Ende. »Schweig«, herrschte er den Fürsten an. »Du weißt so gut wie ich, dass es kein Rausch war, der mich außer Gefecht gesetzt hat. Und jetzt erkläre mir, was hier los ist.«
»Was schon? Wir haben gesiegt.« Rivanon rieb sich mit der Hand das schmerzende Kinn. »Jetzt setzen wir über und geben diesen Barbaren, was sie verdient haben.«
»Heißt das, da drüben wird gekämpft?«
»Gekämpft?« Rivanon lachte kurz auf, verzog aber gleich wieder das Gesicht. »Nein. Es gibt dort niemanden mehr, gegen den wir kämpfen könnten.«
»Aber die Feinde …« Triffin brach erschüttert ab. Die Flöße, die noch schwammen … und nirgends war auch nur ein Rakschun zu sehen … Allmählich fügte sich eines zum anderen, und endlich begriff er.
»Du hast sie betrogen!«, rief er aus, packte den überraschten Rivanon am Kragen und zog ihn so dicht heran, dass er dessen Atem im Gesicht spüren konnte. »Wir hatten ihr versprochen, nur die Flöße zu versteinern«, zischte er dem Fürsten wutentbrannt zu. »Aber du hattest das nie vor – nicht wahr? Du wolltest die Krieger. Von Anfang an.«
»Es war sehr neblig. Da kann es schon mal passieren, dass die Männer sich verlaufen.« Fürst Rivanon keuchte.
»Verlaufen?« Für einen Augenblick sah es so aus, als wolle Triffin den Fürsten erneut schlagen. Dann überlegte er es sich anders und stieß ihn so hart von sich, dass dieser hinfiel. »Ich wusste immer, dass du verlogen bist. Aber so …?« Er spie neben Rivanon auf den Boden. »Du widerst mich an.«
»Und ich wusste immer, dass du ein Freund unserer Feinde bist!«, konterte Fürst Rivanon, während er sich aufrappelte. »Du hättest sie gewarnt. Darum hat der König mir die Verantwortung für den Zauber übertragen. Und darum habe ich dir den Wein gegeben. Damit du uns nicht in die Quere kommst.«
»Der König hat der Maor-Say sein Wort gegeben.« Triffin ging bewusst nicht auf Rivanons haltlose Vorwürfe ein.
»Worte …«, Rivanon grinste, »… sind schnell vergessen. Azenor selbst gab mir den Befehl, sein Wort zu brechen.«
»Das glaube ich dir nicht!«
»Dann frag ihn.« Rivanon ließ sich nicht beirren. »Er ist bereits auf dem Weg hierher. Heute Abend erwarten wir ihn zur Siegesfeier im Lager.«
»Was sagt die Maor-Say zu dem Wortbruch?«, fragte Triffin.
»Nichts.«
»Nichts?« Triffin blinzelte verwirrt.
»Sie weiß es nicht.« Rivanons Grinsen wurde eine Spur breiter. »Und vermutlich wird sie es auch nie erfahren.« Er seufzte ohne echtes Bedauern. »Die Arme scheint sich mit der Magie etwas übernommen zu haben. Sie liegt im Sterben.«
* * *
Das Gefühl, aus sich selbst herauszutreten, war für Noelani nicht neu, aber diesmal war es anders. Etwas war falsch, das spürte sie genau. Sie war nicht vorbereitet. Sie wollte es nicht, und trotzdem gab es eine Kraft, die mit Macht an ihr zerrte und versuchte, sie ihrer sterblichen Hülle zu entreißen.
»Nein!« Noelani wehrte sich und stemmte sich gegen den Sog, den sie auf jeder Geistreise so herbeigesehnt hatte. »Ich will nicht!« Vergebens. Ihre Gegenwehr war zu schwach. Sie konnte Körper und Geist nicht zusammenhalten.
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