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Kristall der Macht

Kristall der Macht

Titel: Kristall der Macht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Felten
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Schwerelos löste sie sich aus ihrem Leib, der wie schlafend auf ein Lager gebettet lag.
    »Wir verlieren sie. Bei den Göttern. So tut doch etwas!« Jamaks Stimme versetzte Noelani einen Stich. Während der Sog sie langsam immer weiter von ihrem Körper entfernte, drehte sie sich um und erkannte, dass sie nicht allein war. Jamak war da. Er beugte sich über sie und hielt die Wange dicht vor ihren Mund. »Sie atmet nicht mehr!«, rief er aus, Verzweiflung im Blick.
    »Die Verletzungen sind zu schwer.« Ein Heiler in schlichter grauer Gewandung legte Jamak mitfühlend die Hand auf die Schulter. Sein Kittel war voller Blut. Ein zweiter stand neben ihrem Lager und schaute Jamak kopfschüttelnd an. »Wir haben alles versucht, was in unserer Macht steht, aber wir können nichts mehr für sie tun. Ihr Leben liegt jetzt allein in der Hand der Götter «
    »Könnt ihr nichts tun, oder wollt ihr es nicht?« Jamak war außer sich. »Sie hat getan, was der König von ihr verlangt hat. Und ihr? Ihr habt sie verstümmelt, ihr eine Hand abgenommen, die Wunde ausgebrannt – und wozu? Ist das euer Dank? Der Tod?«
    Tod? Noelani stutzte. Worüber regte Jamak sich so auf? Sie war nicht tot. Sie war nur auf einer ungeplanten Geistreise, wie sie sie schon häufig unternommen hatte. Das musste er doch wissen. Noelani seufzte. Es tat ihr weh, Jamak so außer sich zu sehen, und sie entschloss sich, in ihren Körper zurückzukehren, um ihm zu zeigen, dass er sich keine Sorgen machen musste. Aber was sie auch versuchte, sie konnte nicht zurück. Der Sog des Lebens, den sie auf jeder Geistreise verspürt und der sie immer in ihren Körper zurückgezogen hatte, war nicht da. Der Sog, den sie so nachdrücklich spürte, wirkte in die entgegengesetzte Richtung.
    Bei den Göttern! Noelani erschrak, als ihr die Bedeutung dessen bewusst wurde: Jamak hat recht. Ich sterbe!
    Tot … tot … Ihre Gedanken überschlugen sich, wehrten sich gegen das Offensichtliche und wollten es nicht wahrhaben. Es war unmöglich. Sie konnte doch nicht sterben. Nicht jetzt, wo endlich alles gut werden würde. Wo sie ihr Volk in eine neue und bessere Zukunft führen konnte …
    »Kaori!« Noelani schluchzte auf. »Kaori, hilf mir! Wo bist du?« Sie schaute sich gehetzt um und stellte fest, dass sie sich noch immer in dem Zelt befand, wo Jamak hilflos und mit Tränen in den Augen an ihrer Seite wachte, während die Heiler schweigend ihre Gerätschaften säuberten.
    »Kaori?« In Noelanis Stimme schwang Panik mit. Sie musste zurück. Irgendwie. Schnell. Und sie hoffte, dass Kaori ihr helfen konnte.
    »Ich bin hier, Schwester.« Eine Gestalt schwebte durch die Zeltplane herein. Bleich und durchscheinend, in denselben Gewändern, die Kaori auf Nintau immer getragen hatte. Das Gesicht war geisterhaft, mit einem Antlitz, das wächsern und fließend erschien, aber unzweifelhaft die Züge ihrer Zwillingsschwester trug. Ihr folgte die Erscheinung des kleinen Hundes, den Noelani versteinert hatte.
    »Kaori, endlich!« Noelani verschlug es die Sprache. Erst nach einigem Zögern sagte sie: »Ich … ich kann dich sehen.«
    »Und ich sehe dich.«
    »Dann … dann bin ich auch … tot?«
    »Tot wohl noch nicht, aber du stirbst.« Kaori nickte. »Dein Geist hat den Körper verlassen. Du bist jetzt wie ich.«
    »Aber das … das geht nicht!«, begehrte Noelani auf. »Ich muss zurück. Ich muss doch darauf achten, dass der König sein Versprechen hält, damit unser Volk …«
    »Ich verstehe dich. Besser als du denkst.« Kaori nickte zustimmend. »Du hast völlig recht. König Azenor kann man wirklich nicht trauen. Er verspricht etwas und tut dann etwas ganz anderes. «
    »Wie meinst du das?«, fragte Noelani.
    »Komm mit!« Kaori schwebte auf die Zeltplane zu und mitten hindurch. »Ich zeige es dir.«
    »Aber ich …« Noelani warf einen kurzen Blick auf ihr bleiches Gesicht und entschied dann, Kaori zu folgen. »Warte!« Schwebend bewegte sie sich durch das Zelt, ohne auf ein Hindernis zu stoßen, und glitt wie Kaori mitten durch die Zeltplane hindurch.
    Draußen schien die Sonne. Im Lager herrschte hektische Betriebsamkeit. Krieger liefen umher, Befehle wurden gebrüllt, und auf dem fernen Gonwe schwammen die Flöße der Rakschun.
    Die Flöße? Noelani blinzelte, aber das Bild änderte sich nicht. »Die Flöße!«, sagte sie verwundert, als sie zu Kaori aufschloss. »Sie schwimmen.«
    »Ja, sie schwimmen.« Kaori seufzte. »Und das ist noch nicht alles. Folge mir.«
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