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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Kloster aufgeben musste, und er würde für ihr Glück im neuen Heim beten. Dann tat er etwas gänzlich Überraschendes: Er machte ihr ein Geschenk, ein Stück wertvollen spanischen Zinnobers, den er für einen guten Preis hätte verkaufen können. Ganz offen legte er das Stück in Winifreds verfärbte, schwielige Hände.
    Sie war sprachlos. Wenn man den roten Stein zermahlte, erhielt man ausgezeichnetes Zinnoberrot, das ihnen gerade am meisten fehlte. »Ich danke Euch, Ibn Jaffar«, sagte sie in aller Demut. Er tat noch ein Weiteres. Er nahm ihre Hand und hielt sie in der seinen.
    Winifred hatte seit vierzig Jahren keine menschliche Berührung mehr erfahren, und schon gar nicht die eines Mannes! Und nun passierte etwas Merkwürdiges: Als Winifred die warme Haut an ihren Fingern spürte, sah sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Mitglied des anderen Geschlechts nicht als Vater oder Bruder, als Händler oder Priester, sondern als Mann. Ihr Blick verfing sich in Simons dunklen, lebhaften Augen, und sie spürte, wie sich in ihrem Herzen etwas Ungewohntes rührte.
    Sie zwinkerte und holte einmal tief Luft. »Wo führt Euch Euer Weg jetzt hin?«, fragte sie unvermittelt.
    Die Frage überraschte ihn. »Zur Abtei, Mutter Oberin. Ich verkaufe den Mönchen dort Medizin.«
    »Geht landeinwärts«, stieß Winifred hervor. »Geht erst nach Mayfield.«
    »Aber Mayfield wäre ein Umweg von zwei Tagen. Und dann wieder zurück… «
    »Bitte«, drängte sie ihn. »Könnt Ihr mir sagen, warum?«
    »Ich habe eine Vorahnung. Ein Gefühl. Ihr müsst von hier landeinwärts fahren, durch Bryer Wood.«
    Er wurde nachdenklich. »Ich werde das mit Seska besprechen, Mutter Oberin«, sagte er schließlich mit Blick auf sein Pferd. »Wenn sie zustimmt, werden wir den Umweg nehmen.« Dann erklomm er seinen Wagen, knallte mit der Peitsche und winkte zum Abschied.
    »Wo ist Schwester Agnes? Es ist Zeit zu gehen.« Dame Mildred kam in den Kapitelsaal beladen mit ihren letzten guten Stücken –
    uralten Töpfen und Pfannen, sogar einem kaputten Nudelholz –, nutzloser Kram, von dem sie sich aber nicht trennen wollte, obwohl Winifred ihr versichert hatte, dass sie nicht mehr kochen müsste.
    »Agnes ist auf dem Friedhof«, keuchte Mildred unter ihrer Last.
    Nicht einmal einen Löffel hatte sie zurückgelassen; ihre gesamte Küche war sauber verpackt und verschnürt. Der Mann, der die Schwestern zu ihrem neuen Konvent bringen sollte, würde mehr als einen Wagen benötigen.
    Es überraschte Winifred nicht, class Agnes sich auf dem Klosterfriedhof aufhielt. Sechzig Jahre lang hatte sie ihn jeden Sonntag aufgesucht. Nun musste sie sich von ihm verabschieden.
    Die Priorin fand die alte Nonne auf den Knien vor einem winzigen Grab im Schatten einer Ulme, die von der Trockenfäule befallen war.
    Die Nonne strich mit ihren arthritischen Fingern die welken Blätter fort und weinte.
    Winifred kniete sich neben sie, bekreuzigte sich und schloss die Augen im Gebet. Der kleine Sarg unter ihnen barg die Leiche eines Kindes, das nur wenige Stunden gelebt hatte. Bei einem Wikingerüberfall vor einundsechzig Jahren auf Portminster war Agnes von einer Horde Dänen vergewaltigt und danach schwanger geworden. Auf Anweisung ihres Vaters wurde sie in das Kloster St.
    Amelia verbracht, weil sie die Familie entehrt hatte. Die Nonnen hatten sie aufgenommen, doch das Kind hatte nicht lange gelebt.
    Nachdem sie ihren Sohn auf dem Klosterfriedhof begraben hatte, war Agnes im Kloster geblieben und hatte ihre Familie nie mehr wiedergesehen. Sie hatte die Ordensgelübde abgelegt, die Kunst des Illuminierens gelernt und jeden Sonntag am Grab ihres Kindes verbracht, auf dessen Grabstein die wenigen Worte standen, John –
    verst. 962 im Jahre des Herrn.
    Mit tränennassen Augen schaute sie jetzt zu den kahlen Ästen hinauf und fragte sich, warum Gott gerade jetzt den Baum mit der Trockenfäule schlug; die welken Blätter regneten auf das kleine Grab, und in wenigen Stunden würde es vollständig bedeckt sein.
    Waren die Schwestern erst einmal fort, würde niemand mehr das Grab pflegen. Neben der kleinen Grabstätte lag bereits ein größerer Laubhaufen, den Andrew später hatte verbrennen wollen. Nur würde es nicht mehr dazu kommen, denn Andrew zog mit ihnen in das neue Kloster.
    Winifred half der alten Nonne auf die Füße. »Andrew sagt, das neue Kloster sei sehr weitläufig«, meinte Agnes. »Ja, Schwester Agnes, aber es ist auch neu und hübsch. Und… «, sie hob den Blick zu

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