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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und das necessarium, mit dem Ethel sich immer so quälen musste; sie dachte an die welken Blätter auf Johns Grab und befand: Das Gerüst, der Schmortopf, die befallene Ulme, der Brunnen – das war kein Zufall. Es war ein Wunder. Diese Dinge waren zu ihrer Rettung bestimmt, weil sie den Mut hatten, sie zu nutzen. Amelias Mut.
    Winifreds Gedanken wanderten zu dem blauen Kristall, den der Wikinger an sich genommen hatte. Sie hoffte inbrünstig, dass die Gnade der heiligen Amelia mit ihm ginge und eines Tages Licht in das Herz des Barbaren bringen würde.
    Der Abt ritt auf seinem edlen Pferd des Weges und sinnierte darüber, um wie vieles bequemer der neue Konvent für die Abtei gewesen war. Unglücklicherweise war das Kloster von den Wikingern dem Boden gleichgemacht worden, während St. Amelia den Überfall wie durch ein Wunder überstanden hatte. Mithin war es nun das einzige Kloster in Portminster. Wenn beide Klöster zerstört worden wären, hätte man selbstverständlich das neue wieder aufgebaut und St. Amelia in Trümmern liegen lassen. Aber jetzt…
    Hinter einer Biegung stieß er auf einen Pilgerzug, der auf dem Weg zur Priorei war. Der Splitter vom Wahren Kreuz war ein Opfer der Flammen geworden, somit befand sich in St. Amelia die einzige Reliquie weit und breit. Der Abt wusste wohl, dass hier ein Wunder geschehen war. Warum hatten die Wikinger das Kloster nicht auch abgefackelt? Ein jeder erklärte, dass die heilige Amelia sie aufgehalten hätte. Aber bei dem Gedanken an die unbeugsame Oberin Winifred kamen ihm Zweifel…
    Der Ort hatte sich seit dem Zwischenfall mit den Wikingern auf wundersame Weise verändert. Köstliche Essensdüfte drangen aus der Küche, wo ein schmackhafter Eintopf in Dame Mildreds riesigem Schmortopf köchelte. Im Garten zog ein junger Mann Wasser aus dem Brunnen und reichte Dame Odelyn den Eimer. Ein anderer Bursche harkte welke Blätter von einem kleinen Grab. Überall herrschten Geschäftigkeit und neuer Wohlstand. Doch der Abt kam heute nicht hierher, um den Nonnen von St. Amelia zu gratulieren.
    Er war hier, weil er beunruhigende Nachrichten gehört hatte: Oberin Winifred unterwies die jungen Novizinnen nicht länger selbst in der Kunst des Illuminierens, sondern überließ diese Aufgabe den älteren Nonnen. Und was machte die Oberin mit der gewonnenen Zeit? Sie malte das verflixte Altarbild! Nun, er würde dem ein für alle Mal ein Ende setzen. Er würde keine weitere Unbotmäßigkeit dieser Frau mehr dulden. Statt, wie erwartet, Oberin Winifred zur Begrüßung an der Pforte zu sehen, wie sie es sonst immer getan hatte, stand da Schwester Rosamund, die nun, ihres Titels ledig, zu den Ordensschwestern gehörte. Die Zurückstufung schien ihr nichts auszumachen, sie stand der Oberin zur Seite und kümmerte sich mit Hingabe um die Bedürfnisse der Reisenden, der Schülerinnen und adligen Damen, überwachte die Renovierung der Gebäude, sah nach den Ziegen, Schafen und Hühnern und sorgte dafür, dass sich der Mittagstisch stets unter einem reichen Angebot bog.
    Rosamund geleitete den Abt zu der neuen Sonnenterrasse, wo Oberin Winifred vor einer Staffelei saß und malte. Er wollte gerade anheben zu sprechen, als sein Blick wie gebannt auf der Leinwand verharrte. Und dann sah er etwas noch Ungewöhnlicheres: Oberin Winifred lächelte!
    Er zog sich einen Stuhl heran und verhielt sich still, während Winifred arbeitete. Sie hatte eine exquisite heilige Amelia geschaffen, strahlend und doch voller Demut, die den Armen diente und das Wort verbreitete. Im dritten Tafelbild des Triptychons hob die heilige Amelia einen blauen Kristall an ihren Hals. Der Abt konnte sich keinen Reim darauf machen, aber das Bild war einmalig und wunderschön und verschlug ihm den Atem.
    Eine Novizin brachte dem Abt einen Becher mit Ale. Während er versonnen daran nippte, beschloss er, Winifred nun doch das Altarbild malen zu lassen, und außerdem dachte er bereits an künftige Bilder, die er bei ihr in Auftrag geben würde und die einen stattlichen Preis erzielen sollten.

    Interim

    Nachdem der Abt das Wunderwerk von Winifreds Altarbild gesehen hatte, durchlief er einen dramatischen Sinneswandel: Er rechnete es sich als alleiniges Verdienst an, Winifred zu dem Altarbild ermutigt zu haben, und gab dann ein Triptychon für seine eigene Kirche in Auftrag. Die Bischofswürde blieb ihm versagt, denn er starb zwei Jahre später, als ihm während des Ostermahls beim dritten Nachschlag eine Gräte im Halse stecken

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