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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Brunnenschacht hockend, sah Dame Oldelyn im Wasserspiegel unter sich, wie ein rotblonder Schopf über den Brunnenrand spähte. Gott sei Dank war sie mit ihrem dunklen Habit im Schatten des Brunnenschachts nicht auszumachen. Keiner der Männer machte sich die Mühe, in der Küche in einen von Spinnweben überzogenen Schmortopf zu schauen. In ihrer Matratze vernahm Gertrude schwere Schritte und hielt den Atem an. Sie hörte, wie die Tür aufflog, spürte ein Augenpaar den Raum absuchen, dann trampelten die Füße weiter in den nächsten Raum. Wie gelähmt kauerten die verängstigten Frauen in ihren Verstecken, hörten oder sahen, wie die Unholde alles durchwühlten und an sich rissen und wilde Flüche ausstießen, weil sie die Frauen nicht fanden.

    Winifred, den blauen Stein fest umklammert, duckte sich hinter das Gerüst. Mit angehaltenem Atem verfolgte sie, wie der Anführer der Wikinger durch die Kapelle stapfte und sich lauernd umsah. So einen hünenhaften Kerl hatte sie noch nie gesehen, seine Muskeln waren groß wie Melonen, und sein Haar loderte wie Feuer. Er packte das silberne Reliquiar, brach es auf und warf die Gebeine auf den Boden, wo er sie mit dem Fuß verstreute. Nachdem seine Suche unter und hinter dem Altar, im Beichtstuhl, in jedem Winkel und jeder Nische erfolglos blieb, klemmte er sich das silberne Behältnis unter den Arm und stürmte hinaus.
    Winifred wagte nicht, sich zu rühren. Zwar schmerzte inzwischen jedes Gelenk und jeder Muskel dank ihrer unbequemen Haltung zwischen den Balken, aber sie verhielt sich mucksmäuschenstill und hoffte inbrünstig, die Eindringlinge möchten ihr Werk der Zerstörung rasch vollenden und abziehen. Der Schweiß brach ihr aus. Er tröpfelte über ihren Schädel und unter ihren Schleier. Die Hände wurden ihr feucht. Und da löste sich zu ihrem Entsetzen der blaue Stein aus ihren Fingern und schlug direkt unter ihr auf dem Boden auf.
    Sie biss sich auf die Zunge, um nicht laut aufzuschreien, und betete mit aller Inbrunst, dass kein Nordmann mehr die Kapelle betreten möge. Zu ihrem Entsetzen kam der Anführer zurück, als hätte er etwas vergessen – oder als spürte er, dass etwas nicht stimmte. Starr vor Schreck sah Winifred, wie der blonde Riese mit dem gehörnten Helm langsam zwischen den Sitzreihen auf den Altar zukam. Vor dem Altar drehte er sich um, dabei stieß sein Fuß an den Stein. Mit Mühe unterdrückte Winifred einen Schrei. Der Mann bückte sich, hob den funkelnden Edelstein auf und schaute um sich, wohl wissend, dass der Stein vorhin noch nicht da gelegen hatte. Er hob den Kopf und spähte in die Schatten aus Balken, Stützen und Streben. Einen langen Moment stand er so. Winifred sah ein Paar scharfer blauer Augen, vermochte aber nicht zu erkennen, ob er sie sehen konnte.
    Unvermittelt hielt er inne, und ihre Blicke trafen sich. Mit angehaltenem Atem klammerte sich Winifred an das morsche Holz, um ja keinen Staub aufzuwirbeln.
    Der Augenblick zog sich in die Länge, der Wilde starrte unvermindert auf die verängstigte Nonne über sich.
    Dann bellte er in seiner eigenen Sprache seinen Männern einen Befehl zu, und Winifred sah durch den Lichtgaden, wie sie ihren gesamten Plunder einsammelten. Zwei seiner Männer kamen mit Fackeln in die Kapelle gestürmt, doch er brüllte ihnen etwas zu und scheuchte sie mit einer Handbewegung fort. Dann schaute er wieder hoch, und bevor er die Kapelle verließ, sah Winifred ein leichtes Zwinkern in seinen Augen, ein leichtes Heben des Mundwinkels.
    Jeder andere hätte diesen Blick als eine Anerkennung ihres Mutes und Einfallsreichtums gewertet; nicht so Winifred, die nur Amelias Kraft am Werk sah.
    Sie ließ sich lange Zeit, ehe sie herunterkletterte. Ihre Gelenke knackten, als sie sich endlich aus ihrer verkrampften Haltung aufrichtete, und auf dem Weg nach unten verlor sie fast den Halt.
    Dann hastete sie die enge Treppe zum Glockenturm hinauf und schaute hinaus. In einiger Entfernung hörte sie das Donnern von Pferdehufen – Oswalds Männer verfolgten die flüchtenden Eindringlinge. Dann entfernte sich der Donner, und Ruhe kehrte ein.
    Winifred rief die Schwestern aus ihren Verstecken herbei, und alle versammelten sich im Kapitelsaal zum Gebet. Und während sie darüber sprachen, wie eine jede von ihnen unentdeckt geblieben war, musste Winifred daran denken, wie oft sie das Gerüst in den letzten fünf Jahren schon verflucht hatte, das ihr nun das Leben gerettet hatte; dachte an Odelyns gefürchteten Brunnen

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