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Kristall der Träume

Kristall der Träume

Titel: Kristall der Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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und die richtigen Gesten gemacht, wie sie es von frühester Kindheit an kannten. Und nun standen sie in diesem fremden Land, in dem sie nicht einmal die Namen der Dinge kannten. Es gab unbekannte Pflanzen und Bäume, Vögel mit ungewohntem Federkleid, fremdartige Fische. Wie sollten sie sie nennen? Wie sollten sie sicherstellen, dass den Überlebenden des Gazellenclans kein Unheil widerfuhr? Während Alawa dem alten Schamanen zusah, wie er sich hinkniete, um einen Kieselstein zu beäugen, wie er an einer Blume roch oder Erde durch die Finger rieseln ließ, fragte sie sich, wie er ihre Neuigkeit aufnehmen würde. Es konnte durchaus sein, dass Bellek die Kinder nicht würde töten wollen, auch wenn es das Überleben des Clans sicherte.
    Da kam ihr der Gedanke, dass Bellek seine Zeit überschritten haben und nicht mehr von Nutzen sein könnte.
    Alawa hatte Männer immer schon verachtet, weil sie kein Leben hervorbrachten, und sich insgeheim oft genug gefragt, warum der Mond überhaupt männliche Kinder schuf. In ihrer Heimat mochten die Männer ja ganz nützlich gewesen sein. Sie schleppten Fleisch vom Flusspferd und vom Nashorn heran, eine Arbeit, die für die Frauen zu schwer war, und versorgten so den Clan mit Nahrung für mehrere Wochen. In diesem neuen Landstrich jedoch musste die Nahrung gepflückt und gesammelt werden, Jäger wurden nicht mehr gebraucht. Konnte das die Botschaft ihrer Träume und magischen Steine sein? Dass sie die Kinder töten mussten, um den Clan zu reinigen?
    Alawa betrachtete die Kinder, wie sie aßen und spielten und ihren Müttern an der Brust zupften. Dabei galt ihr Augenmerk besonders den Knaben, die in allen Altersstufen, vom Säugling bis zum Halbwüchsigen, vertreten waren. Der Tradition folgend, hatten die älteren Jungen ihre Mütter bereits verlassen und sich den Jägern angeschlossen. Mit ihnen waren sie dann im Sumpfmeer umgekommen. Alawa musste wieder an die toten Männer denken, an den verlorenen Mond, an die quälenden Albträume, und ein erschreckender Gedanke nahm immer konkretere Form an: Die ertrunkenen Männer waren eifersüchtig auf die Lebenden. Deshalb verfolgten sie die Frauen in ihren Träumen. Jeder wusste, dass die Toten eifersüchtig auf die Lebenden waren, deswegen wurden die Geister auch so gefürchtet.
    Obwohl sie vor dem letzten Schritt noch zurückschreckte, stand Alawas Entschluss fest. Solange die Jäger die Knaben mit ihrer Eifersucht verfolgten und die Frauen mit Albträumen quälten, würde der Mond nicht erscheinen. Ohne den Mond würde der Clan jedoch aussterben. Die Knaben mussten geopfert werden, um die Geister zu bannen. Dann würde der Mond zurückkommen und wieder neues Leben in die Frauen setzen. Und damit wäre der Clan gerettet.
    Als sie das nächste Mal Rast unter den Bäumen machten und ihre Kinder versorgten, brachen einige der Frauen vor Erschöpfung in Tränen aus.
    Sie alle hatten geliebte Menschen im Sumpfmeer verloren –
    Söhne, Brüder, Neffen, Onkel, Bettgefährten. Bellek hatte seinen jüngeren Bruder untergehen sehen; Keeka die Söhne der Schwester ihrer Mutter; Alawa fünf eigene Söhne und zwölf Söhne ihrer Tochter; Laliari ihre Brüder und ihren geliebten Doron. Ein unermesslicher Verlust. Als die Flutwelle die Jäger unter sich begraben hatte, waren die Frauen schreiend am Wasser entlanggelaufen in der Hoffnung, Überlebende zu finden. Zwei von ihnen hatten sich in die tosende Flut gestürzt und waren ebenfalls untergegangen. Eine Woche lang hatten die Frauen an dem neu entstandenen Ufer gehaust, bis Bellek, nach dem Verzehr von magischen Pilzen und dem Verweilen in einer anderen Sphäre, den Ort zu einem Unglücksort erklärt und zum Aufbruch gemahnt hatte.
    Und nun zogen sie durch ein Land im Nebel, und die Frauen wurden mit jedem Tag bedrückter.
    Voller Mitgefühl mit Keeka, der die Tränen über die Wangen rannen, holte Laliari eine Hand voll Nüsse aus ihrem Beutel und reichte sie der Cousine.
    Bis zu ihrer Flucht war Keeka rund und mollig gewesen. Sie liebte Essen über alles und pflegte nach dem gemeinschaftlichen Abendessen in ihre Hütte zu huschen, die sie mit ihrer Mutter, der Mutter ihrer Mutter und ihren eigenen sechs Kindern teilte, um Essensreste zu verstauen, die sie unter ihrem Grasrock versteckt hatte. Ebenso liebte sie es, mit Männern zu liegen. Die Jäger, die häufiger in ihre Hütte kamen, brachten ihr stets Extragaben mit, und so hing ein reicher Vorrat an getrocknetem Fisch, Hasenkeulen, Zwiebeln,

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