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Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft

Titel: Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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größte Irrglaube überhaupt. Hinter dem Gebäude dehnten sich hektarweit grüner Rasen, Rasen, der sich einem Golfplatz gleich senkte und hob und an manchen Stellen flach war. Ahorn und Erlen standen an den Hängen der Hügel, streuten ihre vielfarbigen Blätter über den Grasteppich.
    Madelaine und Lina standen Seite an Seite in der Menge der trauernden Fremden. Ein Wagen nach dem anderen kam, parkte in einer endlosen Reihe längs der Zufahrt und weiter hinunter am Straßenrand. In ernstes Schwarz gekleidete Menschen stiegen aus den Wagen, sammelten sich und wisperten miteinander. Frauen betupften ihre Augen und erzählten Geschichten über Vater Francis. Männer schüttelten die Köpfe und blickten zu Boden, klopften ihren Frauen und Müttern auf die Schultern.
    Die Trauergäste spazierten in einer steten schwarzen Reihe über den Weg hin zum Grab, wo der Trauergottesdienst stattfand. Sie erkannte mehrere Gesichter - Freunde von Francis aus dem Pflegeheim.
    Sie sah, wie sie an ihr vorbeidefilierten, sah ihren eigenen Schmerz in vielen der Augen widergespiegelt. Jedes Gesicht erinnerte sie an Francis, ließ sie begreifen, auf wie viele Leben er eingewirkt hatte, wie anders die Welt mit ihm gewesen war. Seit zwei Tagen erst war er tot und doch schien es, als sei es bereits ein ganzes Leben her.
    Sie schaute zum Himmel hoch, umklammerte das dünne, weiße Erinnerungsalbum mit ihren kalten Händen. Wusstest du das, Francis, hatten wir dir das gesagt?
    »Ich will dort nicht hingehen«, sagte Lina leise neben ihr.
    Madelaine sah ihre Tochter an, bemerkte die Blässe auf ihren Wangen, den gequälten dunklen Ausdruck in den blauen Augen. Sie überlegte plötzlich, was sie diesem Mädchen sagen sollte, das kein Mädchen mehr war, aber auch noch keine Frau. Sie wusste nicht, ob sie sich zu einem Lächeln zwingen und so tun sollte, als ob alles wieder gut werden würde, oder ob sie ehrlich sein und ihren eigenen Schmerz zeigen sollte. Sie wusste nicht, was Lina jetzt, gerade jetzt, helfen würde. Wenn überhaupt etwas helfen könnte.
    Zögernd streckte sie eine Hand aus und streichelte die feuchte Wange ihrer Tochter. »Da ist dieser Ort, zu dem ich manchmal gehe...«
    Lina schniefte schwer und blickte zu ihr auf. »Ja?«
    »Vielleicht sollten wir dorthin gehen und irgendwie ... auf unsere eigene Art Francis auf Wiedersehen sagen.«
    Linas Unterlippe begann zu zittern. Tränen füllten ihre Augen. »Das ist es ja gerade«, sagte sie leise. »Ich will nicht auf Wiedersehen sagen.«
    Madelaine wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte, und so legte sie, statt zu sprechen, ihren Arm um die Hüfte ihrer Tochter und zog sie ganz nahe an sich. Lina widersetzte sich dem für einen Herzschlag, vielleicht nicht einmal so lange, glitt dann nahe an Madelaines Seite. Schweigend gingen sie gemeinsam die lange, schwarze Zufahrt hinunter, ignorierten die Autos, die an ihnen in Wolken von stinkendem Qualm vorbeikrochen, und die Scheinwerfer, deren Licht ihnen in die Augen fiel.
    Sie stiegen in den Volvo und schlugen die Türen zu, und für einen Sekundenbruchteil hatte Madelaine das Gefühl, als sperrten sie damit die Beerdigung aus. Aber auf der langen Fahrt zurück zu ihrem alten Viertel spürte sie, wie es wiederkam, Bruchstücke, die durch ihr Hirn zuckten - das schniefende Geräusch, das die Kirche erfüllte, der Duft von Treibhauslilien und der Rauch Tausender geweihter Kerzen. Die leise, summende Stimme des Erzbischofs, die über einen Mann sprach, den Madelaine kaum kannte - Vater Francis. Fromm, ernst, immer bereit zu helfen, sagte der Erzbischof.
    Die ganze Zeit hatte sie nur an diesen achtzehnjährigen Jungen denken können, der zu ihrer Rettung gekommen war. Der ihr dünnes, mitleiderregendes Hilf mir gehört hatte und leise geantwortet hatte: Immer, Maddy-Mädcben, immer.
    Sie stellte den Motor ab, saß dort eine Minute und schaute zu, wie die ersten Regentropfen platschend auf die Windschutzscheibe fielen. Durch das verschwommen werdende Glas sah sie das Haus ihres Vaters, das da vor den grauen Wolken geduckt lag, zwischen den kahlen Bäumen, seine Fenster so dunkel, wie sie in den langen Jahren seit seinem Tod immer gewesen waren. Der Rasen war zu hoch und braun und mit welkenden Blättern bedeckt.
    Schließlich seufzte sie. »Lass uns gehen.«
    Madelaine ging voran auf dem Weg zu dem leeren Haus ihres Vaters - es war jetzt ihr Haus, obwohl sie es nie so sehen konnte. Zu seinen Lebzeiten hatte ihr Vater sie enterbt und

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