Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
abgenommen habe und mein Kopf die Größe einer Wassermelone hat? Und was ist mit dem armen Kerl, der mir sein Herz gespendet hat? Gespendet.« Er lachte bissig über die Ironie. »Bei dir klingt das so, als habe er den Hungernden einen Teller Suppe gegeben. Aber es war sein Herz, verdammt, sein Herz. Glaubst du, es hätte ihm Freude gemacht, eure schmutzigen Hände in seiner Brust zu haben, sie aufzuschneiden, sein Herz herauszureißen, wie ihr meins rausgerissen habt?«
Sie saß sehr still da, als beherrschte sie ihre eigene Wut mit großer Willenskraft. »Du hast eine zweite Lebenschance bekommen. Darauf solltest du dich jetzt konzentrieren.«
»Und wenn ich das nicht will?«
»Wie kannst du es wagen? Jemand starb , um dir diese Chance zu geben. Wenn du sie vertust, Angel DeMarco, dann schwöre ich bei Gott...« Sie schwieg plötzlich, als ob sie zu viel gesagt hätte. Schwer atmend, wandte sie den Blick von seinem Gesicht ab und starrte an die Wand.
Er fühlte sich plötzlich müde, so müde. Alle Streitlust blutete aus seinem Körper und sammelte sich in diesem verdammten Behälter am Fußende des Bettes. Er strich sich das Haar aus den Augen und spürte wieder, wie geschwollen seine Wangen waren. Er war verdammt froh, dass er keinen Spiegel hatte. »Gott, ihr habt mich zu einem Modell für ein Schlankheitsmittel gemacht - vor Beginn der Kur.«
»Es ist das Prednison. Die Schwellung wird abklingen.«
Er sah sie an. »Es tut mir Leid, Mad.« Er dachte krampfhaft darüber nach, was er sagen könnte. »Ich habe letzte Nacht von Francis geträumt.«
Sie ließ sich langsam wieder auf den Stuhl zurücksinken. Er bemerkte, dass ihre Hände zitterten, bevor sie sie in den Schoß legte. »Wirklich?«, flüsterte sie. »Was geschah?«
»In dem Traum?« Er versuchte sich zu erinnern. »Ich träumte, mir sei kalt. Es war einer dieser Träume, in denen man glaubt, man sei wach. Ich dachte, ich erwachte und sah, dass alle Decken um meine Knöchel lagen. Ich beugte mich vor, um sie hochzuziehen, und als ich sie zurückgezogen hatte, warf ich einen Blick hinüber zu der Beobachtungstür, und da war Francis. Er stand einfach dort und lächelte.«
»Wie sah er aus?«
»Das war das Verrückte. Er war völlig nass, als ob er in einem Platzregen gestanden hätte. Er berührte das Glas, als ob er hindurchgehen wollte, konnte es aber nicht. Ich hörte seine Stimme in meinem Kopf. >Hallo, Angel<, sagte er. Dann lächelte er - du weißt, welches Lächeln ich meine. Dieses Lächeln, bei dem sein ganzes Gesicht nur noch aus Fältchen besteht und seine Augen fast zu Schlitzen werden.« Er zuckte die Achseln. »Dann war er verschwunden.«
Madelaines Augen füllten sich mit Tränen.
»Was ist, Mad?«
Sie starrte auf ihre Hände, die sie fest verschlungen im Schoß hielt. Sie sah unglaublich zerbrechlich und blass aus. »Francis fuhr letzte Woche nach Portland.«
»Ja, ich weiß.«
Sie riss den Kopf mit einem Ruck hoch. »Das weißt du?«
»Er kam hier vorbei, bevor er aufbrach.«
Madelaine warf ihm einen eigenartigen Blick zu. »Er hat mir nicht gesagt, dass er dich besucht hat.« Sie hielt inne und er hatte den Eindruck, als ob sie unter der Maske die Stirn runzelte.
»Ich bin sicher, dass er dir nicht alles erzählt.«
Sie schluckte schwer. »Ich wollte dir das noch nicht erzählen, wegen deines Herzens ...« Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. »Deines kostbaren Herzens.«
Er hatte plötzlich ein kaltes, unheimliches Gefühl in seinem Bauch. »Was ist?«
»Francis hatte in der Nähe von Portland einen Autounfall.«
Die Kälte breitete sich aus, erfüllte ihn immer mehr. »Ja?«
Sie hielt seinem Blick stand und er sah die Antwort in ihren Augen. »Es tut mir Leid, Angel. Er hat es nicht geschafft. Er war nicht angeschnallt.« Sie sah aus, als ob sie mehr sagen wollte, tat es aber nicht. Sie saß einfach nur da und starrte ihn an. Langsam rollten Tränen über ihre Wangen und sammelten sich auf dem blassen Grün ihrer Maske.
Nein.
Francis konnte nicht tot sein, nicht Francis mit den lachenden Augen und dem schrecklichen Glauben, der nie im Leben jemand etwas zu Leide getan hatte.
»Du lügst«, zischte er und schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wahr.«
Aber er sah in ihren Augen, dass es wahr war.
»O Gott«, flüsterte er und wartete darauf, dass sein gebrauchtes Herz aufhörte zu schlagen. Das Leid war ein großer, zermalmender Schmerz in seiner Brust, erfüllte seine Kehle, brannte in seinen Augen.
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