Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
sie nacheinander, verwoben sich zu einem Ganzen, das sie erschreckte. Er sprach über die Vergangenheit, das wusste sie, und doch fühlte es sich an, als meine er die Zukunft.
Am Ende sagte sie nichts und Stille senkte sich zwischen sie.
»Sag etwas, Mad.«
Sie wandte sich zu ihm, wusste, dass ihre Augen von den Gefühlen erfüllt waren, die zu offenbaren sie sich fürchtete. »Was kann ich sagen, Angel? Du willst wissen, ob ich je wieder so gefühlt habe? Die Antwort ist nein.«
»Glaubst du, du könntest es?«
Sie wusste, dass die Antwort, war sie einmal gegeben, nie zurückgenommen werden konnte. Sie würde sich ihm wieder mit ihrer Verwundbarkeit aussetzen, würde ihm wieder die Macht geben, ihr Herz zu brechen. Sie dachte daran, nichts zu sagen oder zu lügen, wusste aber, dass es sinnlos war. Irgendwie hatte sie ihm diese Macht schon gegeben. »Ja«, flüsterte sie.
Ein kurzes Lächeln spielte um einen seiner Mundwinkel. Dann wandte er sich rasch ab und starrte wieder auf den Grabstein. »Ich muss einen langen Weg gehen, Mad. Ich bin nicht der Mann, der ich vorher war ... aber ich bin noch kein anderer. Ich kann keine Versprechungen machen.«
Überraschenderweise gaben die Worte, die sie hätten verletzen sollen, ihr Hoffnung. Der alte Angel wäre nie so ehrlich gewesen. »Wir sind keine Kinder mehr, Angel.«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine damit, dass nicht alles über Nacht geschehen muss. Es bedeutet, dass man Vertrauen nicht so ganz nebenher schenkt oder ebenso einfach nimmt. Es ist schon viel Wasser den Rhein hinuntergelaufen.«
»Ja.« Angel schwieg wieder. Schließlich zog er ein Blatt Papier aus der Brusttasche. »Ich möchte, dass du dies liest«, sagte er, während er es ihr reichte.
Sie runzelte, verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel, die Stirn. »Was ist das?«
»Lies es einfach«, sagte er.
Sie nahm das Papier und entfaltete es, glättete es auf ihren Oberschenkeln. Die ersten beiden Worte trafen sie hart. Liebe Spenderfamilie.
Sie blickte zu ihm auf.
»Es ist ein Brief an meine Spenderfamilie. Ich habe sechs Stunden daran gesessen, aber er ist noch immer nicht richtig formuliert. Ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei helfen ...«
Madelaine sah die Unsicherheit in seinen Augen, das dringende Bedürfnis, und es berührte sie stark. Sie zwang sich, den Blick abzuwenden, und las den Brief. Als sie fertig war, weinte sie. Sie faltete ihn ganz sorgfältig zusammen und sah Angel an. Sie wollte sagen, dass der Brief perfekt sei, aber sie konnte nicht sprechen.
Sie wusste, dass die Zeit gekommen war.
»Man sagt, dass die Wahrheit einen befreit«, sagte sie leise.
»Der Brief... ist meine Art, zu versuchen, etwas zu ändern, mein Leben in Ordnung zu bringen. Ich möchte für Lina ein guter Vater sein, weiß aber nicht, wie. Manchmal sehe ich sie an und frage mich, wo all diese Jahre geblieben sind und wie mein Leben gewesen wäre, wenn ich sie zum Kindergarten gebracht und sie beim Krippenspiel in der Schule gesehen hätte. Ich weiß, dass ich einen langen Weg vor mir habe, aber ich muss irgendwo anfangen - und das Herz ist wie ein Anfang.«
Madelaine legte den Brief vorsichtig auf die Bank und drehte sich zu ihm, um ihm voll ins Gesicht zu sehen. In diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass sie nie aufgehört hatte, ihn zu lieben, und diese Erkenntnis machte ihr das Atmen schwer. »Als ich von der Wahrheit sprach, die einen frei macht, meinte ich nicht dich. Ich habe von mir gesprochen.«
Er schenkte ihr ein blendendes Grinsen. »Ein weiteres dunkles Geheimnis, das du mir vorenthältst?« Er sah ihre Ernsthaftigkeit und sein Lächeln verflog. »Lina ist doch meine Tochter?«
»Natürlich ist sie das.« Madelaine beugte sich näher zu ihm. Fast gegen ihren Willen berührte sie seine Brust, spürte das Herz schlagen, in perfektem Rhythmus pochen. Sie suchte nach Worten, nur nach den richtigen Worten.
»Du machst mir Angst, Mad.«
»Ich fürchte, du wirst mir nicht verzeihen«, flüsterte sie. Sie wollte ihn mit Erklärungen und Entschuldigungen überschütten, damit er das Wunder verstand, das sie ihm gegeben hatte, aber er schaute sie so aufmerksam an, dass sie nicht klar denken konnte. »Es machte ein Wunder aus einer Tragödie, denke daran. Es gab keine Zeit für Entscheidungen, keine Zeit, um mit jemand zu sprechen. Du warst im Koma. Du lagst im Sterben und ich musste dich retten.«
»Madelaine.« Er berührte ihr Kinn, hob ihr Gesicht und zwang sie, ihn
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