Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Angel?«
Sein falsches Lächeln schwand und er sah sie mit einer solchen Eindringlichkeit an, dass sie den Atem anhielt. »Er verfolgt mich, Mad. Das liegt daran, weil ich so viele Dinge nicht gesagt habe. Ich dachte... wenn ich sie vielleicht jetzt sage, dass er mich dann mein Leben leben lässt.« Er kam einen Schritt näher auf sie zu. »Ich fange an, einige Dinge zu planen, Mad. Zum ersten Mal seit Jahren kann ich ein künftiges Leben sehen, aber...«
Sie wurde von den Worten, die er nicht sagte, angezogen. Es war, als fiele sie in die Vergangenheit zurück, aber das war ihr gleich. Sie wusste nur, dass sie einsam war, sehr lange Zeit einsam gewesen war, und dass er die Hand nach ihr ausstreckte. Sie ergriff sie, spürte, wie die starken Finger sich um ihre schlössen, und ihr Herzschlag wurde schneller. »Ich bringe dich hin«, sagte sie leise. Sie wusste, dass sie, wenn sie mit ihm zu Francis' Grab ging, ihm die Wahrheit über sein Herz erzählen und dass er ihr seine Hand vielleicht nie wieder reichen würde. Sie drückte sie fest, klammerte sich an ihn.
Er führte sie über den Weg zwischen ihren welken Blumenbeeten zu dem Bürgersteig, der ihr Haus flankierte. Der Himmel verfärbte sich mit einem ersten Hinweis auf die kommende Dämmerung zu einem tiefen, intensiven Lavendelblau. Wortlos nahm sie auf dem weichen, wohlriechenden Ledersitz Platz und dirigierte ihn zur Autobahn.
Als sie den Friedhof erreichten, war es fast vier Uhr. Sanfte rosarote Strahlen durchzogen den Himmel in der Dämmerung.
Sie gingen über den Granitweg zu der grasbewachsenen Anhöhe, die sie für Francis ausgewählt hatte. Die Kirche hatte einen exquisiten Grabstein aus weißem Marmor aufstellen lassen. Daneben stand die gusseiserne Bank, die Madelaine ausgesucht hatte.
Sie führte Angel zu der Bank und setzte sich neben ihn. Sie starrten lange Zeit auf den Grabstein und hingen beide ihren Erinnerungen nach. Schließlich zog sie das Flanellhemd ein wenig fester um sich und stand auf. »Ich werde dich ein bisschen allein lassen«, sagte sie und wandte sich zum Gehen.
Er griff nach ihrer Hand. »Geh nicht.«
Sie blickte auf ihn hinab, sah den Schmerz in seinen Augen, die Furcht und die Enttäuschung und die Einsamkeit, und das warf sie zurück in eine andere Zeit, die lange zurücklag, als er sie ebenso angesehen und genau dieselben Worte gesagt hatte. Langsam, noch immer seine Hand haltend, setzte sie sich.
Leise sagte er: »Ich würde alles ändern, wenn ich es könnte.«
Sie wusste nicht, ob er zu ihr oder zu Francis sprach, aber das war auch unwichtig. Das Geständnis umfing sie, verband sie miteinander. »Ich weiß, was du meinst.«
Er lachte, aber es war ein hohles Geräusch. »Wie könntest du das? Du bist niemals in deinem Leben vor etwas davongelaufen.«
Sie seufzte. »Das zeigt nur, wie wenig du mich kennst, Angel. Ich habe bei unserer Tochter eine Menge Fehler gemacht und ich glaube, ich habe Francis als selbstverständlich hingenommen. Ich dachte, er würde immer für mich da sein.« Sie neigte das Kinn und starrte auf die endlose Grasfläche, beobachtete, wie die winzigen Messerklingen der Nacht sich über die Grabsteine schoben. »Ich hatte solche Angst um Francis und Lina. Sie taten sich beide so leicht damit, Liebe zu geben. Anders als ich. Ich schien das nie richtig machen zu können, vor allem bei Lina. Ich befürchtete immer, ich würde das Falsche tun oder das Falsche sagen und sie würde mich verlassen ... einfach eines Tages verschwinden und niemals wiederkommen.«
Er schwieg eine Minute lang, berührte dann ihr Kinn und zwang sie, ihn anzusehen. »Wie ich es tat.«
Sie konnte nicht so tun, als habe sein Verrat ihr nichts bedeutet. »Ich habe darauf gewartet, dass du zurückkommst.«
»Es lag nicht an dir, Mad.«
Sie versuchte zu lachen. »Ich habe sonst niemand vor meinem Schlafzimmerfenster stehen sehen.«
Sein Lächeln war traurig. »Das war ich. Ich hatte Angst vor dir und vor mir und dem Baby. Hatte Angst vor dem, was ich für dich fühlte. Wie hätte ich wissen sollen ...?« Sein Blick war unverwandt auf sie gerichtet. Sie wartete, atemlos und ein wenig ängstlich vor dem, was er als Nächstes sagen würde. Er schaute weg, starrte in den Abendhimmel, und als er schließlich sprach, war seine Stimme belegt. »Wie hätte ich wissen sollen, dass ich nie wieder so fühlen würde?«
Die Worte waren magisch. Sie spürte, wie sie sie umfingen, ihr Herz drückten. Antworten kamen zu ihr, umkreisten
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