Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Lavendel und Blau.
Francis saß im Indianersitz auf dem Holzboden des Quilcene-Raumes, den Blick hinaus in die Nacht gerichtet, die sich jenseits des deckenhohen Fensters zu senken begann. Krähen krächzten sich an, schwangen sich von ihren Sitzen in den Zedern und jagten kleinere, schwächere Vögel in Verstecke längs dem Dachgesims. Er konnte das Scharren von Krallenfüßen draußen auf den Brettern hören. Es war kurz nach Einbruch der Dämmerung, jene Abendstunde, in der die Pferde und Rinder auf den nahe gelegenen Farmen wieherten und muhten, auf ihr abendliches Heu warteten, in der Rehe vorsichtig die Landstraßen auf der Suche nach dem letzten süßen Gras vor dem Winter überquerten.
Dicke graue Wolken zogen sich langsam zusammen und schickten einige wenige spritzende Regentropfen nach unten. Eine Brise pochte ans Fenster und wirbelte einen Haufen vergilbender Blätter auf. Piniennadeln rieselten zu Boden, sammelten sich hier und da auf den weiß gestrichenen Fensterbänken.
»Vater Francis?«
Francis wandte seinen Blick vom Fenster ab und schaute sich in dem Raum um, in dem die Männer nahe dem Kamin zusammensaßen. Flackerndes Licht sprang aus dem prasselnden Feuer, huschte über die ernsten Gesichter, die ihn anstarrten.
Es war ihr sechster gemeinsamer Abend, der letzte vor einer achtundvierzigstündigen Pause, in der jedes der Paare etwas Zeit allein miteinander verbringen würde. Francis sah die Männer an und lächelte.
Wie immer hatte er seinen Glauben an die Menschen und Gott wiedergefunden, während er seine priesterlichen Aufgaben verrichtete. Ja, er fühlte sich noch ein wenig wie ein Betrüger, weil er Rat erteilte, obwohl er so wenig Erfahrung besaß, doch im Laufe der Tage und Nächte, die er mit diesen Menschen verbracht hatte, hatte er die Auswirkungen seiner Bemühungen gesehen ... etwa darin, dass Joe Santiago begonnen hatte, seine Frau bei der Hand zu nehmen, wenn sie in den Speiseraum gingen. Oder in dem flüchtigen Lächeln, das Levi Abramson seiner Braut zuwarf, wenn sie von ihren Kindern sprach. In diesem sich langsam entwickelnden Gefühl von Hoffnung, das als ein Klümpchen von Versprechen begonnen hatte und zu etwas mehr gewachsen war.
Das hatte Francis' Glauben wieder gestärkt.
»Vater?« Es war wieder Thomas Fitzgerald, der Francis auf ruhige Art in das Gespräch zurückholte.
Francis grinste. »Tut mir Leid, Leute. Ich hatte gerade nachgedacht.«
»Hat Ihnen der Regen irgendeine göttliche Eingebung vermittelt?«, fragte Levi mit einem Lachen.
Francis setzte zu einer Antwort an, hielt dann aber inne. Etwas - ein Hauch von Erkenntnis - schwebte zitternd in der Luft um ihn, sammelte sich wie winzige Fünkchen von Blitzen auf einem dünnen Metallstab. Er konnte es hören, fühlen, es mit einer leise flüsternden Stimme nach ihm rufen hören.
Konnte es so einfach sein?
»Wissen Sie, Levi«, sagte er langsam und tastete sich wie ein Blinder durch die Gasse seiner Gedanken, »vielleicht war es so. Vielleicht ist göttliche Eingebung ganz anders, als wir sie uns vorstellen.«
Thomas rückte näher. »Was meinen Sie damit?«
Francis starrte in das Feuer, spürte seine Hitze, nahm seine tanzende Farbe wahr, hörte das knisternde Krachen eines Holzscheites. Gott schien ihm auf einmal ungeheuer nahe zu sein, näher als Er ihm seit Jahren gewesen war. »Vielleicht ist es göttliches Eingreifen, das uns überhaupt hierher gebracht hat. Vielleicht ist das alles, was Gott zu tun gedenkt, uns einen Weg zu weisen und zu warten. Der Weg ist da, er ist immer da, führt durch den Wind und den Regen und den Schnee.«
Stille senkte sich in den Raum, wurde verstärkt durch den angehaltenen Atem der Männer. Francis schaute sich um und spürte ihren Glauben an ihn, an Gott, an sich selbst und an andere.
Güte. Hoffnung. Glaube.
Er sah all das in diesem Raum. »Wie Sie, Joseph«, sagte er ruhig und sah dabei den älteren Mann an. »Sie lieben Maria und sie liebt Sie, aber irgendwie haben Sie im Laufe der Jahre den Weg aus den Augen verloren. Und doch sind Sie da, greifen nach ihrer Hand und wissen, dass sie es ist, mit der Sie gehen wollen. Vielleicht müssen Sie einfach aufhören, so angestrengt nach dem Weg zu suchen, den Sie gehen wollen, sondern stattdessen einfach nur ihre Hand nehmen und zu laufen beginnen und glauben, dass das Pflaster unter Ihnen fest genug ist. Gott hat jedem von Ihnen das unglaubliche Geschenk der Liebe gegeben.«
»So leicht kann es nicht sein«, sagte
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