Kristin Hannah - Wenn das Herz ruft
Gott helfe ihm, er hatte seinen ganzen verbliebenen Mut zusammengenommen und es versucht. Ich könnte ein guter Vater sein. Aber er wusste, noch während er es sagte, dass es eine Lüge war, und Alex wusste es auch.
Der alte Mann lachte. Wovonf Sie wird morgen abtreiben. Du glaubtest doch nicht etwa, sie würde wirklich ein Kind von dir haben, oder? Sie ist eine Hillyard, verdammt noch mal.
Angel war erleichtert. Selbst jetzt wurde ihm übel bei dem Gedanken daran, wie erleichtert er bei diesen Worten gewesen war.
Nimm das Geld, Junge. Es gehört dir allein.
Und Angel nahm es. Er drehte sich um und rannte, den Scheck zerknüllt zwischen seinen verschwitzten Fingern. Auf dem ganzen Weg nach draußen sagte er sich, es mache überhaupt nichts, sagte sich, dass er den Scheck einlösen und das Geld ausgeben und dennoch zu Madelaine zurückkommen könnte.
Als er schließlich sein Fahrrad erreicht hatte, war ihm die Wahrheit bewusst, und sie zerriss ihn, drehte alles in seinem Inneren, bis er glaubte, sich auf der Straße übergeben zu müssen. Er verließ sie, weil er sie verlassen wollte, weil er nicht stark genug war, um zu bleiben und einen Job in irgendeiner miesen Fabrik anzunehmen und der Vater seines ungeborenen Kindes zu werden.
Es wird kein Baby geben. Er versuchte, sich mit diesem Wissen zu trösten, aber irgendwie schmerzte das nur noch mehr.
Er hatte Angst. Gott, er hatte so schreckliche Angst. Er wollte nicht auf seine ganze Zukunft verzichten, noch nicht.
Er drehte sich langsam um. Er sah sie dort oben, ihr blasses, ovales Gesicht gefangen zwischen den Eisenstäben, die ihr Fenster versperrten, gefangen in dem vom Regen verschmierten Glas.
Dann sprang er auf das Fahrrad seines Bruders und fuhr davon, den Scheck so schwer wie Silberstücke in seiner Jackentasche.
Angel atmete mit einem schweren Seufzer aus. Ja, er war davongelaufen, weggefahren, war mühsam und schnell und lange gefahren und genau dort geendet, wo er angefangen hatte.
Ich nenne sie Lina.
Die Worte rissen ihn jäh in die Gegenwart zurück.
Und er spürte den ersten drohenden Schlag in seiner Brust.
Er schloss seine Augen und lag still da, atmete flach und langsam. Der Schweiß auf seiner Stirn wurde kalt, rann in Bächen seitlich an seinem Gesicht herunter.
Er versuchte, nach der Notglocke zu greifen, aber er war zu schwach. Er konnte seinen Arm nicht heben.
Der Kardiograph klapperte und summte, schrie dann entsetzt auf.
Herzversagen.
Angel versuchte weiter zu atmen. Sein Körper schien ihn zu umhüllen, größer und größer zu werden, eine heransickernde Dunkelheit, die alles erfüllte. Und in der Mitte von all dem war der Schmerz.
In irgendeinem fernen Teil seines Hirns hörte er den Tumult, die aufschlagende Tür, das hereinfallende Licht, die vor Entsetzen erhobenen Stimmen. Er hörte sie seinen Namen rufen, aber er konnte nicht antworten. Da waren Schichten über Schichten von Dunkelheit zwischen ihm und dem Licht und er war müde, so entsetzlich müde. Stunden schienen zu vergehen.
Dann spürte er ihre Berührung, hörte ihre Stimme durch die kreischende Kakophonie. »Angel?«
Er versuchte, eine Hand nach ihr auszustrecken, doch sein Körper wehrte sich gegen ihn. Ein schlaffes, totes Ding ohne Willen oder Fähigkeit. Er blinzelte angestrengt, zwang seine Augen, sich zu öffnen.
Madelaine stand über ihn gebeugt, ihr Haar wurde von dem gleißenden Deckenlicht in eine Strahlenkrone verwandelt. Für eine Sekunde war er wieder auf dem Riesenrad, sah sie vom Sternenlicht umhüllt. »Mad«, krächzte er.
»Stirb ja nicht, Angel DeMarco. Wage das bloß nicht.« Sie drehte ihren Kopf und erteilte mit einer gefassten, beherrschten Stimme, die ihn beruhigte, Anweisungen. Dann wandte sie sich wieder zu ihm und strich über seine feuchte Stirn. »Du wirst das überstehen, Angel. Wir werden ein Herz für dich finden. Gib nur nicht auf.«
Ihr Gesicht wurde scharf, dann wieder unscharf.
»Angel? Bleib wach.«
Seine Augenlider waren bleiern. Er glaubte, da sei etwas, was er ihr unbedingt sagen müsste, aber dann war der Gedanke einfach verschwunden.
»Lungenödem«, sagte Madelaine mit gedämpfter Stimme. Dann lauter: »Holt den Wagen. Gott verdammt, Leute, bewegt euch doch...«
Er wusste, dass die Worte ihm eigentlich Angst machen müssten, aber er konnte überhaupt nichts mehr fühlen.
Kapitel 14
Der kühle Herbstabendhimmel hatte begonnen, weicher zu werden, verwischte am Horizont in Farbabstufungen von Rosa und
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