Kristin Lavranstochter 1
vorüber, und zwischen den Säulen schien man in kohlschwarze Löcher zu sehen.
Vorne, nahe dem Altar, beugte der Vater die Knie, und Kristin kniete neben ihm nieder. Nach und nach konnte sie in der Dunkelheit einiges unterscheiden - es glitzerte von Gold und Silber auf den Altären drinnen zwischen den Säulen, aber auf dem Altar vor ihnen strahlten die Kerzen, die in vergoldeten Leuchtern steckten, und es strahlte von den heiligen Gefäßen und dem großen prächtigen Bilde dahinter. Kristin mußte wieder an den Berg denken - so, hatte sie geglaubt, müsse es dort sein, soviel Pracht, aber vielleicht noch mehr Licht. Und das Gesicht des Zwergenmädchens erschien ihr wieder - aber dann hob sie die Augen und sah an der Wand über dem Bilde Christus selbst, groß und streng, hoch am Kreuze aufgerichtet. Sie fürchtete sich - er sah nicht sanft und traurig aus wie daheim in ihrer eigenen heimischen balkenbraunen Kirche, wo er mit durchbohrten Füßen und Händen schwer an seinen Armen hing und das blutüberströmte Haupt unter der Dornenkrone neigte. Hier stand er mit steif ausgestreckten Armen und aufgerichtetem Haupte auf einem Sockel, das Haar glänzte wie Gold und war von einer goldenen Krone gekrönt, das Antlitz erhoben und streng.
Da versuchte sie den Worten des Priesters zu folgen, während er betete und sang, jedoch seine Sprache war so undeutlich und hastig. Daheim war sie gewohnt, jedes Wort unterscheiden zu können; Sira Eirik hatte die klarste Stimme, und er hatte sie gelehrt, was die heiligen Worte auf norwegisch bedeuteten, damit sie ihre Gedanken besser zu Gott lenken konnte, wenn sie in der Kirche war.
Das aber konnte sie hier nicht, denn jeden Augenblick gewahrte sie etwas anderes in der Dunkelheit. Hoch oben in den Wänden waren Fenster, durch die das Tageslicht allmählich heller hereinschimmerte. Und in ihrer Nähe war ein seltsames Galgengerüst aus Balken aufgerichtet, dahinter aber lagen helle Steinblöcke und standen Tröge und Gerätschaften. Nun hörte sie, daß dort Menschen kamen und gingen und miteinander tuschelten. Aber dann fielen ihre Blicke wieder auf den strengen Herrn Christus an der Wand, und sie versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Die Eiseskälte des Steinbodens ließ ihre Beine bis an die Hüften erstarren, und die Knie taten ihr weh. Schließlich begann alles rings um sie zu schweben, so müde war sie.
Da erhob sich der Vater; der Gottesdienst war zu Ende. Der Priester kam herzu und begrüßte Lavrans. Während sie mitein-
ander redeten, setzte sich Kristin auf eine Stufe, denn sie sah, daß auch der Chorknabe sich gesetzt hatte. Er gähnte - da mußte auch sie gähnen. Als er sah, daß sie ihn anblickte, drückte er die Zunge gegen die Wange und verdrehte die Augen. Danach holte er unter seinem Gewand einen Beutel hervor und leerte alles, was darin war, auf die Stufe aus - Angelhaken, Bleiklumpen, Lederriemen und ein paar Würfel -, und die ganze Zeit schnitt er Gesichter zu ihr hin. Kristin wunderte sich höchlich.
Da blickten der Priester und der Vater auf die Kinder. Der Priester lachte und sagte zu dem Knaben, er solle zur Schule heimgehen, Lavrans aber runzelte die Stirn und nahm Kristin bei der Hand.
Es wurde nun allmählich heller in der Kirche. Schläfrig hing Kristin an Lavrans’ Hand, während dieser und der Priester unter das Balkengerüst traten und von Bischof Ingjalds Bauplänen sprachen.
Sie wanderten durch die ganze Kirche, und schließlich gingen sie in die Vorhalle hinaus. Von dort führte eine steinerne Treppe in den westlichen Turm hinauf. Kristin taumelte müde die Stufen hinan; der Priester öffnete die Türe einer schönen Kapelle, da sagte der Vater, Kristin solle sich draußen auf die Treppe setzen und warten, während er beichte. Später sollte sie dann hereinkommen und den Schrein des heiligen Tomas küssen dürfen.
In diesem Augenblick trat ein alter Mönch in aschbrauner Kutte aus der Kapelle heraus. Er blieb ein wenig stehen, lächelte dem Kinde zu und zog dann einige Säcke und Friesdecken aus einer Nische in der Mauer. Diese breitete er auf dem Treppenabsatz aus.
„Setz dich da drauf, dann frierst du nicht so“, sagte er und ging auf seinen nackten Füßen die Treppe hinunter.
Kristin schlief, als Herr Martein, wie der Priester hieß, herauskam und sie am Arme berührte. Aus der Kirche tönte der herrlichste Gesang herauf, und drinnen in der Kapelle brannten Kerzen auf dem Altar. Der Priester führte sie hinein und machte ihr ein
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