Kristin Lavranstochter 1
ich bald nicht mehr, weshalb Gott mir so viele und schwere Sorgen auferlegt - ich habe mich getreulich bemüht, seinen Willen zu erfüllen. Warum hat er unsere Kinder von uns genommen, Ragnfrid, eines nach dem anderen - erst unsere Söhne, dann die kleine Ulvhild, und jetzt habe ich sie, die ich am liebsten hatte, ohne Ehre einem unzuverlässigen und unverständigen Manne gegeben. Nun bleibt uns nur noch die Kleine - und es dünkt mich jetzt unklug, mich über sie zu freuen, ehe ich sehe, wie es mit Ramborg gehen wird.“
Ragnfrid zitterte wie Laub. Da umfaßte der Mann ihre beiden Schultern.
„Leg dich hin“, bat er, „dann schlafen wir“, und den Kopf auf dem Arm seiner Frau, lag er eine Weile da, seufzte ab und zu, schlief dann aber endlich ein.
Es war noch ganz finster in der Scheune, als Ragnfrid sich wieder bewegte - sie war erstaunt, geschlafen zu haben. Sie tastete mit der Hand umher; Lavrans saß aufrecht, die Finger über den Knien verschlungen.
„Bist du schon wach?“ fragte sie erstaunt. „Frierst du?“ „Nein“, antwortete er mit verrosteter Stimme, „aber ich kann nicht wieder einschlafen.“
„Denkst du an Kristin?“ fragte die Mutter. „Es kann ja besser gehen, als wir glauben, Lavrans“, sagte sie wieder.
„Ja, daran denke ich“, antwortete der Mann. „Ja, ja. Ob Jungfrau oder Frau, sie kam doch mit dem ins Brautbett, dem sie ihre Liebe zugewandt hatte. Das ist weder dir noch mir widerfahren, meine arme Ragnfrid.“
Die Frau stieß ein dumpfes tiefes Stöhnen aus - sie warf sich ins Heu zurück.
Lavrans legte seine Hand auf ihre Schulter.
„Aber ich habe es nicht vermocht“, sagte er heftig und schmerzvoll. „Nein, ich vermochte nicht - so zu sein, wie du mich haben wolltest, als wir jung waren. Ich bin nicht so ...“ Nach einer Weile sagte Ragnfrid leise und weinend:
„Wir haben doch trotzdem gut zusammen gelebt, Lavrans -in allen diesen Jahren.“
„Das habe auch ich geglaubt“, erwiderte er finster.
Die Gedanken schoben und drängten einander in seinem Innern. Der eine nackte Blick, den Bräutigam und Braut ein-ander zugeworfen hatten, die beiden jungen Gesichter, die in einer roten Flamme aufglühten - ihn dünkte dies eine Schamlosigkeit. Es hatte ihn versengt, daß dies seine Tochter war. Er sah immer noch diese Augen - und wild und verblendet kämpfte er dagegen, die Hülle von etwas in seinem eigenen Herzen herabreißen zu lassen, von dem er nie hatte wissen wollen, daß es da war; er hatte sich gegen seine eigene Frau gewehrt, als sie danach suchte.
Er habe nicht gekonnt, wiederholte er im Innern und hart. In des Teufels Namen, er war als Knabe verheiratet worden, er hatte nicht selbst gewählt, sie war älter gewesen als er, er hatte sie nicht begehrt; er hatte sie nicht von ihr lernen wollen - die Liebe. Jetzt noch wurde ihm heiß vor Scham, wenn er daran dachte - daß sie ihn dazu hatte bringen wollen, sie zu lieben, wenn er eine solche Liebe nicht von ihr gewollt hatte. Daß sie ihm all das angeboten hatte, worum er sie nie gebeten hatte.
Er war ihr ein guter Mann gewesen, das hatte er selbst geglaubt. Er hatte ihr alle nur mögliche Ehre erwiesen, ihr volle Handlungsfreiheit gelassen und in allem mit ihr Rats gepflogen, war ihr treu gewesen - und sie hatten ja auch sechs Kinder gehabt. Er wollte nur mit ihr leben dürfen, ohne daß sie immer nach dem in seinem Herzen griff, was er selbst nicht entblößen wollte.
Keiner hatte er seine Liebe zugewandt. - Ingunn, Karls Frau auf Bru. Lavrans errötete im Dunkeln. Er war stets dort zu Gast gewesen, wenn er durch das Tal gereist war. Er hatte mit der Hausfrau sicher nicht ein einziges Mal unter vier Augen gesprochen. Aber wenn er sie sah - wenn er nur an sie dachte, empfand er etwas wie den ersten Duft der Äcker im Frühjahr, gleich nachdem der Schnee weggetaut ist. Er wußte es jetzt, es hätte auch ihm widerfahren können - daß er geliebt hätte, auch ihm.
Aber er war so jung verheiratet worden, und er war scheu geworden.
So kam es dahin, daß er sich am wohlsten draußen im Walde
fühlte - dort im Gebirge, wo alles Lebendige freien Raum rings um sich haben will, Raum, um zu fliehen, wo alles scheu gegen das Fremde späht, das sich anschleichen will.
Einmal im Jahr gab es eine Zeit, da die Tiere im Wald und auf dem Felde all ihre Scheu vergaßen - da sie dem Weibchen entgegenbrausten. Ihm aber war die Frau gegeben worden.
Und sie hatte ihm alles angeboten, worum er nicht geworben
hatte.
Aber
Weitere Kostenlose Bücher