Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
Vom Netzwerk:
vor dem Kruzifix nieder, das sie in der Dunkelheit über sich erkennen konnte.
    Als sie ihre Gebete gesprochen und sich erhoben hatte, stand sie eine Weile da, es war, als habe sie erwartet, daß ihr irgend etwas widerfahren müsse. Aber nichts geschah. Sie fror und fürchtete sich in der dunklen, öden Kirche.
    Dann schlich sie zum Altar hinauf und beleuchtete die Bilder. Sie waren alt, häßlich und unfreundlich. Der Altartisch war nur nackter Stein; sie wußte, daß die Decken, Bücher und Gefäße in einer Kiste verschlossen aufbewahrt wurden.
    Im Langschiff lief eine Bank an der Wand entlang. Kristin ging hin und setzte sich; das Licht stellte sie auf den Boden. Ihr Umhang war naß, und sie selbst war naß und hatte kalte Füße. Sie versuchte, das eine Bein unter sich zu ziehen, da aber tat ihr das Sitzen so weh. Sie schlang den Umhang dicht um sich und bemühte sich, ihre Gedanken darauf zu sammeln, daß nun wiederum die heilige Mitternachtsstunde sei, da Christus sich von Maria, der Jungfrau, in Bethlehem hatte gebären lassen.
    Verbum caro factum est et habitavit in nobis.. .*
    Sie dachte an Sira Eiriks tiefe und reine Stimme. Und an Audun, den alten Diakon, der nie mehr gesund wurde. Und an ihre Kirche daheim, wo sie neben ihrer Mutter gestanden und die Weihnachtsmesse gehört hatte. Kein einziges Jahr war vergangen, in dem sie nicht die Christmesse gehört hatte. Sie versuchte sich an noch mehr der heiligen Worte zu erinnern, aber sie konnte nur an ihre Kirche und alle die bekannten Gesichter denken. Ganz vorn auf der Seite der Männer stand ihr Vater und starrte mit fernen Augen in den blendenden Lichterdunst des Chors.
    Es war so unfaßbar, daß ihre Kirche daheim nicht mehr stand. Sie war abgebrannt. Kristin brach bei diesem Gedanken in Weinen aus. Und hier saß sie allein in der Dunkelheit, in dieser Nacht, da alle christlichen Menschen sich zu Freude und
    * (lat.) Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. (Joh. 1,14)
    Herrlichkeit im Gotteshaus versammelten. Auch dies war wohl so, wie es sein sollte, heute nacht war sie ausgeschlossen von dem Fest zu Ehren der Geburt des Gottessohnes durch eine hehre und reine Jungfrau.
    Die Eltern verbrachten wohl dies Weihnachten auf Sundbu. Aber heute nacht wurde in der Kapelle keine Messe gelesen; Kristin wußte, daß die Leute von Sundbu in der Weihnacht stets zum Gottesdienst nach der Hauptkirche auf Ladalm ritten.
    Es war das erste Mal, so weit sie zurückdenken konnte, daß sie nicht in der Christmesse war. Sie mußte noch ganz klein gewesen sein, als ihre Eltern sie das erste Mal mitnahmen; denn sie konnte sich entsinnen, man hatte sie in einen Fellsack gesteckt, der innen zottig war, und der Vater hatte sie im Arm gehalten. Es war eine entsetzlich kalte Nacht, und sie ritten durch einen Wald - die Kienfackeln beleuchteten die schneebeschwerten Fichten. Ihres Vaters Gesicht war purpurrot im Fackelschein, und die Pelzkante an seiner Kappe war kreideweiß vom Reif. Von Zeit zu Zeit beugte er sich zu ihr herab und biß sie ein wenig in die Nasenspitze, fragte sic, ob sie es spüre, und dann rief er zur Mutter zurück, noch habe sich Kristin die Nase nicht erfroren. Sie mußten damals noch auf Skog gewohnt haben; sie war wohl drei Winter alt gewesen. Die Eltern waren noch ganz junge Leute. Jetzt erinnerte sie sich der Stimme ihrer Mutter in jener Nacht - hell und fröhlich und voller Lachen, wenn sie dem Mann etwas zurief und nach dem Kinde fragte. Ja, die Stimme der Mutter hatte frisch und jung geklungen.

Bethlehem, das bedeutet in norwegischer Sprache Ort des Brotes. Denn dort wurde den Menschen jenes Brot gegeben, das die Nahrung des ewigen Lebens ist.
    Um die Stunde der Tagesmesse dann trat Sira Eirik an das Lesepult und trug das Evangelium in der Sprache des Landes vor.
    In der Zeit zwischen den Messen hielten sich die Leute in der Festhalle nördlich von der Kirche auf. Sie hatten etwas zu trinken bei sich und ließen die Gefäße wandern. Die Männer gingen ab und zu in die Ställe hinüber und sahen nach den Pferden. Aber in den Vigiliennächten im Sommer blieb die Gemeinde auf der Kirchenwiese, und da tanzte die Jugend in der Zeit zwischen den Gottesdiensten.
    Und die selige Jungfrau Maria hüllte selbst ihren Sohn in
    Windeln. Sie legte ihn in die Krippe, aus der sonst Ochsen und Esel fraßen ...
    Kristin preßte die Hände in die Seiten.
    Kleiner Sohn, du mein süßer eigener, eigener Sohn. Gott wird sich deiner erbarmen um seiner seligen Mutter

Weitere Kostenlose Bücher