Kristin Lavranstochter 1
Arbeit des nächsten Tages redete, lachte er und sagte: „Um dich, Kristin, hätte Erlend schon vor zehn Jahren freien sollen. Da stünden seine Sachen nun in jeder Beziehung besser.“ „Glaubst du?“ fragte sie lächelnd wie vorher. „Da war ich neun Winter alt. Meinst du, Erlend hätte dazu getaugt, Jahr und Tag dahinzuleben und auf eine Kinderbraut zu warten?“
Ulv lachte und ging hinaus.
Aber in der Nacht lag Kristin da und weinte vor Verlassenheit und Demütigung.
Dann, eine Woche vor Weihnachten, kam Erlend heim, und Orm, sein Sohn, ritt an der Seite des Vaters. Es gab Kristin einen Stich ins Herz, als er den Jungen vor sie hinführte und ihn hieß, seine Stiefmutter zu begrüßen.
Er war das schönste Kind. So, so hatte sie sich gedacht, sollte er aussehen, der Sohn, den sie trug. Bisweilen, wenn sie es wagte, froh zu sein und zu glauben, daß ihr Kind gesund und wohlgeschaffen zur Welt kommen würde, und wenn sie sich ausmalte, wie. der Knabe an ihren Knien aufwachsen würde, dann dachte sie sich ihn so, so ähnlich seinem Vater.
Orm war für sein Alter vielleicht ein wenig klein und zart, doch schön gewachsen, feingliedrig und mit hübschem Angesicht, dunkel von Haut und Haar, aber mit großen blauen Augen und einem weichen roten Mund. Er begrüßte seine Stiefmutter höfisch, aber sein Gesicht war hart und kalt. Kristin hatte nicht viel Gelegenheit, mit dem Jungen näher zu sprechen. Doch sie fühlte seine Blicke, wo sie ging und stand, und hatte das Gefühl, als würde sie noch plumper und schwerer im Körper und im Gang, wenn sie spürte, wie das Kind sie anstarrte.
Sie sah Erlend nicht viel mit dem Sohn sprechen, bemerkte aber wohl, daß es der Knabe war, der sich abweisend verhielt. Kristin sprach mit ihrem Mann darüber, wie schön Orm sei und wie klug er aussehe. Seine Tochter hatte Erlend nicht mitgenommen. Margret schien ihm noch zu klein, um jetzt im Winter diese lange Reise zu machen. Sie sei noch viel schöner als der Bruder, sagte er stolz, als Kristin sich nach dem kleinen Mädchen erkundigte - auch viel lebhafter sei sie; ihre Pflegeeltern könne sie um den kleinen Finger wickeln. Sie habe goldgelbes gelocktes Haar und braune Augen.
Dann ist sie wohl ihrer Mutter ähnlich, dachte Kristin. Sie konnte nichts dafür, daß die Eifersucht in ihr brannte. Ob Erlend wohl seine Tochter ebenso liebte, wie ihr eigener Vater sie geliebt hatte? Erlends Stimme war so weich und warm gewesen, als er von Margret gesprochen hatte.
Kristin stand auf und trat zur äußeren Tür hinaus. Draußen war es so dunkel und regenschwer, daß man weder Mond noch Sterne sehen konnte. Aber sie dachte, es müsse wohl bald Mitternacht sein. Sie nahm das Licht vom Vorraum, ging in die Stube und zündete es an, dann warf sie den Umhang über und ging in den Regen hinaus.
„In Jesu Namen“, flüsterte sie und bekreuzigte sich dreimal, als sie in die Nacht hinaustrat. Ganz am oberen Ende des Hofplatzes lag das Haus des Geistlichen. Es stand jetzt leer. Seit Erlend vom Bann befreit worden war, hatte es keinen Hauskaplan mehr auf Husaby gegeben; ab und zu kam einer von den Hilfsgeistlichen aus Orkedal herüber und las die Messe
- der neue Priester, der in die Kirche hier eingesetzt worden war, weilte noch mit Meister Gunnulv im Auslande; die beiden waren wohl Freunde von der Schule her. Man hatte sie in diesem Sommer daheim erwartet; jetzt glaubte Erlend, sie würden wohl nicht eher als nach Frühlingsanfang ins Land kommen. Gunnulv hatte in seiner Jugend eine Lungensucht durchgemacht, so daß er wohl kaum zur Winterszeit heimreisen würde.
Kristin trat in das leere, kalte Haus und suchte nach dem Kirchenschlüssel. Dann blieb sie eine Weile stehen. Draußen war der Boden sehr glatt und die Nacht pechschwarz und windig und regnerisch. Es war ein Wagnis für sie, zur Nachtzeit hinauszugehen, und noch dazu in der Weihnachtszeit, in der die Luft von allen bösen Geistern erfüllt ist. Aber sie konnte ihre Absicht nicht aufgeben - sie mußte zur Kirche.
„Ich gehe hier in Gottes, des Allmächtigen, Namen“, flüsterte sie in die Luft hinaus. Und während sie mit dem Licht vor sich her leuchtete, setzte sie die Füße dorthin, wo Erdhügel und Steine aus dem holprigen, nassen Glatteis herausragten. Im Dunkeln schien der Weg zur Kirche sehr lang. Endlich aber stand sie auf der Steinschwelle vor der Türe. Drinnen war es beißend kalt - viel kälter als draußen im Regen. Kristin ging bis zum Chorbogen und kniete
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