Kristin Lavranstochter 1
hatten seiner Mutter gehört. Den mit dem roten Stein, ihren Brautring, sollte Kristin nach seinem Tode haben. Aber den an seiner rechten Hand, mit dem Stein, der zur Hälfte blau und zur Hälfte weiß war wie sein Wappenschild, den hatte Herr Björgulv für seine Gemahlin anfertigen lassen, als sie das Kind erwartete -sie sollte ihn erhalten, wenn sie ihm einen Sohn geboren hatte. Drei Nächte lang hatte Kristin Sigurdstochter den Ring getragen, dann band sie ihn dem Jungen um den Hals, und Lavrans sagte, er wolle ihn mit ins Grab nehmen.
Oh, was würde ihr Vater sagen, wenn er das über sie erfuhr. Wenn es sich in den Gemeinden daheim verbreitete und wenn er überall, wo er ging und stand, in der Kirche und auf dem Thing oder bei den Zusammenkünften, wissen mußte, daß jedermann hinter seinem Rücken darüber lachte, wie er sich zum Narren hatte halten lassen. Auf Jörundhof hatten sie eine Buhlerin mit der Sundbu-Krone auf offenem Haar zur Hochzeit aufgeputzt ...
„Die Leute sagen wohl von mir, ich könne meine Kinder nicht züchtigen.“ Sie sah das Gesicht ihres Vaters vor sich, als er dies sagte; er wollte streng und ernsthaft sein, aber seine Augen waren lustig. Sie hatte in irgendeiner kleinen Sache gefehlt - ihn ungefragt angesprochen, während Fremde bei ihm waren, oder etwas Ähnliches. „Ja, du, Kristin, du hast nicht viel Angst vor deinem Vater, du!“ Dann mußte er lachen, und sie lachte mit. „Ja, aber das ist arg, Kristin.“ Und keiner von ihnen wußte, was denn so arg sei: daß sie nicht die richtige Angst vor ihrem Vater habe oder daß er so ganz unmöglich seinen Ernst bewahren konnte, wenn er sie zurechtweisen sollte.
Es war, als rücke die unerträgliche Furcht, es könne mit dem Kind irgend etwas nicht in Ordnung sein, immer ferner und ferner, je mehr Kristin von ihrem Körper geplagt und gequält wurde. Sie versuchte in die Zukunft zu denken; in einem Monat - da hatte sie ihren Sohn bereits eine Weile. Aber es wurde nicht ganz wirklich für sie. Sie sehnte und sehnte sich nur immerzu nach ihrer Heimat.
Einmal fragte Erlend, ob er nach ihrer Mutter senden solle. Aber sie hatte nein geantwortet: sie glaube nicht, daß die Mutter eine so große Reise im Winter ertragen könne. Jetzt bereute sie es. Und sie bereute, daß sie Tordis auf Laugarbru abgewiesen hatte, die ihr nach dem Norden hatte folgen und ihr im ersten Winter ihrer Hausfrauenschaft an die Hand hatte gehen wollen. Aber sie hatte sich vor Tordis geschämt. Tordis war die Magd der Mutter daheim auf Sundbu gewesen, war mit nach Skog und wieder heim ins Tal gezogen. Als Tordis heiratete, hatte Lavrans ihren Mann als Verwalter auf Jörundhof angenommen, weil Ragnfrid nicht ohne ihre geliebte Magd zu sein vermochte. Kristin hatte keine Dienstmagd von daheim mitnehmen wollen. Jetzt schien es ihr entsetzlich, kein einziges bekanntes Gesicht sehen zu sollen, wenn ihre schwere Stunde sie zu Boden zwang.* Sie fürchtete sich - sie wußte so wenig über das Kindbett einer Wöchnerin. Die Mutter hatte nie mit ihr darüber gesprochen und hatte nie gewollt, daß junge Mädchen dabei waren, wenn sie einer Frau in Kindesnöten half - das erschreckt die Jungen nur, sagte sie. Es konnte sicher entsetzlich sein; Kristin erinnerte sich daran, wie die Mutter Ulvhild bekam. Das aber, sagte Ragnfrid, sei daher gekommen, weil sie sich vergessen habe und unter einem Zaun durchgeschlüpft sei; ihre anderen Kinder hätte sie leicht geboren. Kristin jedoch fiel ein, daß sie selbst aus Unachtsamkeit auf dem Schiff unter einem Tau durchgeschlüpft war.
Immer traf es ja nicht zu - sie hatte die Mutter und andere Frauen über solche Dinge sprechen hören. Ragnfrid stand daheim im Tal in dem Ruf, die beste Wehmutter zu sein, und sie schlug es nie ab, zu Hilfe zu kommen, ob es sich nun um eine Bettlerin handelte oder um die verführte Tochter des ärmsten Mannes, und ob das Wetter auch so war, daß drei Männer auf Schneeschuhen mitgehen und sie abwechselnd auf dem Rücken tragen mußten.
Aber da war es doch ganz undenkbar, daß eine so erfahrene Frau wie ihre Mutter nicht begriffen hatte, was ihr in diesem Sommer fehlte, als sie so elend daran war. Dies traf Kristin mit einemmal. Dann - dann war es doch ganz sicher und gewiß, daß die Mutter kam, auch wenn sie nicht nach ihr gesandt hatten! Ragnfrid würde es wohl nicht dulden, daß eine fremde Frau ihre Tochter in diesem Kampfe stützen sollte. Die Mutter würde kommen - sie war sicher schon unterwegs
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