Kristin Lavranstochter 1
wußte. Oh, könnte ich doch sterben und würde dieses Kind nie geboren werden - ich wage nicht zu sehen, was ich in mir genährt habe.“
„Gott erbarme sich deiner, Kristin - du weißt nicht, was du sagst! Möchtest du wünschen, daß dein Kind ungeboren und ungetauft sterben soll?“
„Ja, das, was unter meinem Herzen gewachsen ist, muß ja wohl dem Teufel gehören. Das kann nicht gerettet werden. Oh, hätte ich doch den Trunk getrunken, den Eline mir anbot -es wäre vielleicht eine Sühne gewesen für alles, was wir gesündigt haben, Erlend und ich. Dann wäre dieses Kind nie gezeugt worden. Oh, ich habe es die ganze Zeit gedacht, Gunnulv -wenn ich sehen würde, was ich in mir genährt habe, da würde ich verstehen lernen, daß es besser für mich gewesen wäre, das Giff des Aussatzes zu trinken, das Eline mir anbot, statt sie, die Erlend zuerst an sich gebunden hatte, in den Tod zu treiben.“ „Kristin“, sagte Gunnulv. „Du weißt nicht, was du sagst. Nicht du warst es, die das arme Weib in den Tod trieb. Erlend hätte das Wort, das er ihr gegeben hat, als er jung war und wenig von Gesetz und Recht wußte, nicht halten können. Nie hätte er mit ihr ohne Sünde leben können. Und sie selbst hat sich von einem anderen verführen lassen, und Erlend wollte sie mit ihm verheiraten, als er es erfuhr. Nicht ihr seid daran schuld, daß sie sich das eigene Leben nahm.“
„Willst du wissen, wie es zuging, daß sie sich das Leben nahm?“ Kristin war nun so verzweifelt, daß sie ganz ruhig sprach. „Wir waren zusammen auf Haugen, Erlend und ich, da kam auch sie hin, sie hatte ein Horn bei sich, sie wollte, ich sollte mit ihr trinken - jetzt verstehe ich, sie hatte es wohl Erlend zugedacht, aber als sie mich bei ihm fand, da wollte sie, daß ich... Ich erkannte den Betrug - ich sah, daß sie selbst nichts von dem Trunk kostete, als sie das Horn an die Lippen setzte. Aber ich wollte trinken; als ich zu wissen bekam, daß er sie die ganze Zeit bei sich auf Husaby gehabt hatte, war es mir gleichgültig, ob ich lebte oder starb. Da trat Erlend herein
- er drohte ihr mit dem Messer, sie sollte zuerst trinken. Sie bat und bat, und er wollte sie schon loslassen. Da gewann der Teufel Gewalt über mich, ich ergriff das Horn; eine von uns, eine von den beiden Buhlerinnen, sagte ich, ich reizte Erlend auf - du kannst nicht uns beide halten, sagte ich. Da geschah es, daß sie sich mit Erlends Messer tötete - aber Björn und Aashild fanden einen Rat, zu verbergen, wie es sich zugetragen hatte.“
„So, Muhme Aashild war also bei diesem Rat dabei“, sagte Gunnulv hart. „Ich verstehe - sie hatte dich Erlend in die Hände gespielt.“
„Nein!“ brach Kristin heftig aus. „Frau Aashild bat uns
- sie bat Erlend und sie bat mich so sehr, daß ich nicht begreife, wie ich zu widerstehen wagte -, wir möchten so ehrenhaft handeln, wie es noch möglich sei: meinem Vater zu Füßen fallen und ihn für unser Unrecht um Verzeihung bitten. Aber ich wagte nicht. Ich redete mich darauf hinaus, daß ich Angst hätte, der Vater könne Erlend töten - oh, ich wußte sehr wohl, daß mein Vater jenem Manne nichts getan hätte, der sich selbst und seine Sache ihm in die Hände gab. Ich redete mich auf die Angst hinaus, es würde ihm solchen Kummer bereiten, daß er nie wieder seinen Kopf aufrecht tragen könnte. Oh, später habe ich bewiesen, daß ich nicht so sehr besorgt darum war, meinem Vater keinen Kummer zu bereiten. Du kannst nicht wissen, Gunnulv, welch ein guter Mann mein Vater ist - niemand, der meinen Vater nicht kennt, kann wissen, wie freundlich er allezeit zu mir war. Stets hat er so viel auf mich gehalten. Ich wollte nicht, daß er erführe, wie schamlos ich gewesen war, daß ich, während er glaubte, ich säße bei den Schwestern in Oslo und lernte alles, was recht und gut ist. .. Ja, ich trug die Jungschwesterntracht, als ich mit Erlend in Ställen und in Dachkammern unten in der Stadt herumlag.“
Sie blickte zu Gunnulv auf. Sein Gesicht war weiß und hart wie Stein.
„Begreifst du jetzt, daß ich Angst habe. Sie, die ihn bei sich aufnahm, als er, vom Aussatz angesteckt, heimkehrte ...“
„Würdest du das nicht getan haben?“ fragte der Priester still.
„Doch. Doch. Doch.“ Ein Schatten des früheren wilden und süßen Lächelns flog über das verstörte Gesicht des Weibes.
„Im übrigen war Erlend nicht krank“, sagte Gunnulv. „Niemand außer unserem Vater hat auch nur einen Augenblick
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