Kristin Lavranstochter 1
Falle eine Frau nicht von dem Kind erlöst werden konnte, das sie im geheimen empfangen hatte, sollte es helfen, wenn man sie auf die Knie des Kindsvaters setzte.
Kristin lag unter einigen Decken auf dem Boden; zwei Frauen saßen bei ihr. Beim Eintreten schon sah Erlend, wie sie sich zusammenkrümmte und ihren Kopf hin und her drehend der einen Frau in den Schoß bohrte - aber sie gab keinen Schmerzenslaut von sich.
Als der Anfall vorüber war, blickte sie mit wilden, erschrockenen Augen auf; die aufgesprungenen braunen Lippen entblößten die Zähne. Jede Spur von Jugend und Liebreiz war aus dem aufgeschwollenen rotgeflammten Gesicht gewichen -selbst das Haar war mit dem Stroh und mit der Wolle von den Fellen zu einem schmutzigen Filz zusammengeklebt. Sie sah Erlend an, als kenne sie ihn nicht sofort. Als sie jedoch begriff, weshalb die Frauen nach ihm gesandt hatten, schüttelte sie heftig den Kopf.
„Bei uns daheim ist es nicht Sitte, daß Männer dabei sind, wenn eine Frau gebiert.“
„Hier im Norden hält man es manchmal so“, sagte Erlend leise. „Kann es deine Qual ein wenig verkürzen, meine Kristin, so mußt du doch ...“
„Ach!“ Als er bei ihr niederkniete, schlang sie die Arme um ihn und preßte sich an ihn. Zusammengekrümmt und bebend kämpfte sie sich durch die Wehen hindurch, ohne einen Laut von sich zu geben.
„Darf ich zwei Worte allein mit meinem Manne reden“, sagte sie atemlos und rasch, als es vorüber war. Die Frauen zogen sich zurück.
„War es damals, als sie in Kindsnöten war, daß du ihr versprachst, wie sie sagte, sie zu heiraten, wenn sie Witwe würde -war es in jener Nacht, als Orm geboren wurde?“ flüsterte Kristin leise.
Erlend rang nach Luft, als habe man ihm einen Schlag in die Herzgrube versetzt. Dann schüttelte er heftig den Kopf.
„Ich war in jener Nacht auf der Burg - meine Leute hatten die Wache. Ich versprach es, als ich am Morgen in unsere Herberge heimkehrte und sie den Knaben in meine Arme legte. -Hast du hier gelegen und die ganze Zeit an all das gedacht Kristin?“
„Ja.“ Wieder klammerte sie sich an ihn, während die Schmer-
zenswelle über ihr zusammenschlug. Erlend trocknete den
Schweiß, der ihr über das Gesicht rann.
„Nun, da du dieses weißt“, fragte er, als sic wieder still
dalag, „willst du nicht doch, daß ich so bei dir bleibe, wie
Frau Gunna sagt?“
Aber Kristin schüttelte den Kopf, und schließlich mußten die Frauen Erlend gehen lassen.
Dann aber war es, als sei damit ihre Kraft gebrochen. In wilder Angst schrie sie vor jeder Wehe, die sie kommen fühlte, laut hinaus und bettelte jammernd um Hilfe. Wenn jedoch die Frauen davon sprachen, ihren Mann wieder hereinzuholen, schrie sie nein, lieber wolle sie zu Tode gepeinigt werden.
Gunnulv und der Schreiber, der mit ihm gekommen war, gingen zur Kirche, um den Abendgesang zu singen. Wer von den Leuten des Hofes nicht bei der Wöchnerin weilte, folgte ihnen. Aber Erlend schlich sich, noch ehe es zu Ende war, zur Kirche hinaus und ging zu den Häusern hinüber.
Über den Höhenzügen im Westen, auf der anderen Seite des Tales, war der Himmel gelbrot - der Frühlingsabend begann klar und hell und mild zu dämmern. Da und dort brach ein Stern hervor, weiß in der hellen Luft. Ein kleiner Nebelfetzen trieb über den Laubwald unten am See dahin - und dort, wo die Äcker der Sonne zugewandt lagen, waren schneefreie Stellen; in der Luft lag ein Geruch von Erde und schmelzendem Schnee.
Die Kleinstube war das westlichste Gebäude auf dem Hofplatz, sie lag gegen die Talsenke hin. Erlend ging hinüber und stand eine Weile an der hinteren Wand. Als er sich dagegenlehnte, fühlte er noch die Sonnenwärme in den Balken. Oh, sie schrie. - Er hatte einmal eine Färse unter den Tatzen eines Bären schreien hören - das war oben auf der Alm gewesen, als er noch ein halbwüchsiger Bursche war. Arnbjörn, der Senne, und er selbst liefen südwärts zum Wald hin. Er erinnerte sich noch an das Zottige, das sich aufrichtete und zu einem Bären mit heißem rotem Rachen wurde. Arnbjörns Speer brach unter den Schlägen des Bären mitten entzwei - da riß der Mann Erlends Speer an sich, denn der Knabe stand von Grauen gebannt da.
Die Färse vor ihnen lebte noch, aber Euter und Schenkel waren weggefressen.
„Meine Kristin, o meine Kristin - Herr, um deiner seligen Mutter willen, erbarme dich.“ Er floh zur Kirche
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