Kristin Lavranstochter 1
sich aufrecht. Dann ließ er die Stirn des Kindes das Heiligtum berühren.
Herr Paal folgte ihr bis zur Kirchentür und fragte, ob sie nun sicher sei, den Weg bis zur Fähre finden zu können. Dann wünschte er ihr gute Nacht - er sprach die ganze Zeit gleichmäßig und trocken wie irgendein anderer höfischer junger Mann.
Es hatte ein wenig zu regnen begonnen, und köstlicher Geruch dampfte lebendig aus Gärten und von den Straßen auf, die neben den Furchen der Räderspuren frisch und grün waren wie ein Hofplatz. Kristin schützte den Knaben gegen den Regen, so gut sie konnte; er war so schwer, so schwer jetzt, daß sie ihre Arme vom Tragen gar nicht mehr fühlte. Und er jammerte und weinte beständig - wahrscheinlich war er wieder hungrig.
Die Mutter war todmüde - von der langen Wanderung und von all dem Weinen und der gewaltsamen Gemütserschütterung in der Kirche. Sie fror - und der Regen nahm zu, die Tropfen klatschten auf die Bäume herab, so daß die Blätter blitzten und bebten. Kristin folgte den schmalen Durchlässen zwischen den Häusern und kam auf einen Platz, wo sie zum Fluß hinuntersah, der breit und grau dahinströmte, an der Oberfläche von fallenden Tropfen durchlöchert wie ein Sieb.
Es war kein Fährboot zu sehen. Sie redete zwei Männer an, die unter eine am Rand des Wassers auf Pfählen erbaute Bootshütte gekrochen waren. Diese sagten, sie solle weiter hinaus zur Flußmündung gehen - dort hätten die Nonnen ein Haus, und dort sei auch der Fährmann.
Kristin schleppte sich wieder zu dem Platze hinauf, mit wunden Füßen, durchnäßt und müde. Sie kam zu einer kleinen grauen Steinkirche - dahinter lagen ein paar Häuser, von einem Zaun umgeben. Naakkve schrie ganz fürchterlich, so daß sie die Kirche nicht betreten konnte. Aber sie hörte den Gesang durch die scheibenlosen Fensterhöhlen heraus und erkannte die Antiphone Laetare, Regina Coeli: Freu dich, Maria, Himmelskönigin, denn er, den du zu tragen auserkoren warst, ist auferstanden, wie er gesagt hat. Halleluja!
Das war es, was die Minoriten nach dem Kompletorium sangen. Bruder Edvin hatte sie, Kristin, diesen Hymnus an die Mutter des Herrn gelehrt, in den Nächten, die sie bei ihm durchwachte, als er todkrank bei ihnen daheim auf Jörundhof lag. Sie schlich sich in den Kirchhof, und mit ihrem Kinde auf dem Arm stand sie an der Wand und sprach den Gesang leise vor sich hin.
Nichts, Kristin, was du auch tätest, könnte deines Vaters Gesinnung gegen dich ändern. Gerade darum darfst du ihm nicht noch mehr Kummer bereiten ...
Wie deine durchbohrten Hände am Kreuz ausgebreitet waren, o teurer Herr der Sonnenburg... So weit, wie eine Seele vom rechten Weg abirrt, so weit waren die durchbohrten Hände sehnsuchtsvoll ausgebreitet. Nichts bedurfte es, außer des einen, daß die sündige Seele sich den offenen Armen entgegenwandte, gutwillig, wie das Kind zu seinem Vater geht, und nicht wie ein Sklave, den man zu seinem strengen Herrn jagt. Jetzt begriff sie, wie häßlich die Sünde war. Wieder drang dieser Schmerz in ihre Brust, als müsse das Herz vor Reue und Scham ob all der unverdienten Gnade zerbrechen.
Nahe an der Kirchenwand war ein wenig Schutz vor dem Regen. Sie setzte sich auf einen Grabstein und schickte sich an, den Hunger des Kindes zu stillen. Dazwischen beugte sie sich nieder und küßte den kleinen flaumhaarigen Kopf.
Sie mußte eingeschlafen sein. Irgend jemand berührte ihre Schulter. Ein Mönch und ein alter Laienbruder mit dem Grabscheit in der Hand standen vor ihr. Der Barfüßer fragte, ob sie eine Nachtherberge suche.
Ein Gedanke durchfuhr sie - sie wollte viel lieber die Nacht hier bei den Minoriten, den Brüdern von Bruder Edvin, zubringen. Und es war so weit hinaus nach Bakke - und sie war zum Umfallen müde. Da gebot der Mönch dem Laiendiener, diese Frau in die Frauenherberge zu führen, „und gib ihr ein wenig Kalmuslauge für ihre Füße, sie sind wund, wie ich sehe“.
Es war erstickend dumpf und dunkel in der Frauenherberge, die außerhalb der Einzäunung an einem Durchlaß zwischen den Häusern lag. Der Laienbruder brachte Kristin Waschwasser und ein wenig Essen, und sie saß an der Feuerstätte und versuchte das Kind zu beruhigen. Naakkve spürte es wohl, daß die Mutter erschöpft war und an diesem Tage gefastet hatte; er weinte und wimmerte von Zeit zu Zeit, während er an der leeren Brust sog. Kristin nahm dann und wann einen Schluck von der Milch, die der Laienbruder ihr gebracht hatte;
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