Kristin Lavranstochter 1
ihr in die Kleinstube gegangen war, wohin sie das Kind um der Fremden willen gebracht hatte.
Lavrans saß da und schaukelte den Tochtersohn auf den Knien. Naakkve war jetzt zehn Monate alt, groß und schön. Er hatte zu Weihnachten schon einen Kittel und Strümpfe bekommen.
„Ich kann mich nicht erinnern, Vater, daß Ihr früher Eure Stimme in solchen Angelegenheiten habt hören lassen“, sagte die Tochter wieder. „Stets habt Ihr gesagt, für Land und Leute sei es das beste, wenn der König herrsche und jene Männer, die er an seine Seite rufe. Erlend sagt, dieser Angriff sei ein Werk der Mächtigen südlich im Lande; sie wollten Frau Ingebjörg und die Männer, die ihr als Ratgeber vom Vater zur Seite gestellt worden waren, verdrängen - und wollten sich wieder die Macht anmaßen, die sie früher besaßen, als König Haakon und sein Bruder noch Kinder waren. Aber daraus entsteht ein großer Schaden für das Reich, so habt Ihr früher selbst gesagt.“
Lavrans flüsterte ihr zu, sie solle die Kindsmagd hinausschicken. Als sie allein waren, fragte er:
„Woher hat Erlend diese Kundschaft - stammt sie von Munan?“
Kristin sagte, Orm habe, als er im Herbst nach Hause gekommen sei, einen Brief von Herrn Munan mitgebracht. Sie sagte nicht, daß sie selbst ihn Erlend vorgelesen hatte - er war
nicht geschickt darin, Schrift zu deuten. Aber in diesem Brief klagte Munan sehr darüber, daß nun jeder wappenführende Mann in Norwegen glaube, mehr von der Reichsverweserschaft zu verstehen als die Herren, die König Haakon zu seinen Lebzeiten um sich gehabt habe, und daß sie meinten, besser für das Wohl des jungen Königs sorgen zu können als jene hochgeborene Frau, seine eigene Mutter. Er hatte Erlend gewarnt, gäbe es Anzeichen dafür, daß die norwegischen Herren sich anschickten, es so zu machen wie die Schweden im Sommer in Skara, nämlich Pläne zu schmieden gegen Frau Ingebjörg und ihre alten erprobten Ratgeber, dann sollten die Verwandten der hohen Frau sich bereit halten, und Erlend sollte mit Munan in Hamar Zusammentreffen.
„Erwähnte er nichts davon“, fragte Lavrans und kitzelte Naakkve mit einem Finger unter dem dicken Kinn, „daß ich einer von den Männern bin, die sich den unerlaubten Botschaften widersetzten, mit denen Munan ins Tal hinauffuhr - im Namen unseres Königs?“
„Ihr!“ sagte Kristin. „Habt Ihr in diesem Herbst Munan Baardssohn getroffen?“
„Das habe ich“, antwortete Lavrans. „Und große Einigkeit herrschte nicht zwischen uns.“
„Habt Ihr über mich gesprochen?“ fragte Kristin rasch.
„Nein, meine kleine Kristin“, sagte der Vater und lachte ein wenig. „Ich kann mich nicht erinnern, daß das Gespräch zwischen uns dieses Mal auf dich gekommen wäre. Weißt du, ob es wahr ist, daß dein Mann nach Süden zu fahren gedenkt, um Munan Baardssohn zu treffen?“
„Ich glaube es“, erwiderte Kristin. „Sira Eiliv setzte kürzlich einen Brief für Erlend auf - und er redete davon, daß er wohl bald nach Süden reisen müsse.“
Lavrans saß eine Weile da und blickte auf das Kind nieder, das mit den Fingern an dem Dolchgriff spielte und dabei versuchte, in den Bergkristall zu beißen.
„Ist es wahr, daß man Frau Ingebjörg die Herrschaft entreißen will?“ fragte Kristin.
„Frau Ingebjörg ist etwa so alt wie du“, entgegnete der Vater, immer noch mit seinem Lächeln. „Niemand will der Mutter des Königs jene Ehren und jene Macht nehmen, zu denen sie geboren ist. Aber der Erzbischof und einige Freunde und Verwandte unseres seligen Königs haben eine Versammlung ein-
berufen, um zu beraten, wie Macht und Ehre der hohen Frau der und das Wohl des Volkes am besten gewahrt werden sollen.
Kristin sagte leise:
„Ich merke wohl, Vater, daß Ihr dieses Mal nicht nur um Naakkves und meinetwillen nach Husaby gekommen seid.“
„Nicht nur deshalb“, sagte Lavrans. Dann lachte er. „Und ich merke, meine Tochter, daß dir das wenig zusagt!“
Er legte seine eine Hand über ihr Gesicht und streichelte auf und nieder. So hatte er immer getan, seit sie ein kleines Mädchen war, jedesmal, wenn er sie ausgezankt oder geneckt hatte.
Währenddessen saßen Herr Erling und Erlend oben in der Waffenkammer - so hieß das große Haus, das nordöstlich auf dem Hofplatz dicht neben dem Hofzaun stand. Es war hoch wie ein Turm, mit drei Stockwerken; im obersten befand sich ein Raum mit Schießscharten, und dort wurden alle Waffen aufbewahrt, die auf dem Hof nicht
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