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Kristin Lavranstochter 1

Titel: Kristin Lavranstochter 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Undset
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gedacht, Gott sei wie ihr eigener Vater, und auch der heilige Olav sei so wie ihr Vater. Die ganze Zeit hatte sie zutiefst in ihrem Herzen darauf vertraut, daß sie in dem Augenblick, in dem die Strafe härter wäre, als sie zu ertragen vermochte, Erbarmen statt Gerechtigkeit finden würde.
    Sie weinte so sehr, daß sie sich nicht erheben konnte, wenn die Leute während des Gottesdienstes aufstanden - über ihrem Kind zu einem Bündel zusammengebrochen, blieb sie liegen. In ihrer Nähe knieten einige Menschen, die sich ebenfalls nicht er-
    * (lat.) Meine Seele erhebt den Herrn. Und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes. (Luk. 1, 46/47) hoben - es waren zwei gutgekleidete Bäuerinnen mit einem Knaben zwischen sich.
    Kristin blickte zum Chor hinauf. Hoch oben hinter goldenen Gittertüren glänzte in der Dunkelheit über dem Altar Sankt Olavs Schrein. Es rann ihr eiskalt über den Rücken. Dort lag sein heiliger Leib und wartete auf den Tag der Auferstehung. Da würde der Deckel aufspringen, und er würde sich erheben. Mit der Axt in der Hand würde er durch diese Kirche schreiten. Und aus dem Steinboden, aus der Erde draußen, aus jedem Friedhof im ganzen Lande Norwegen würden die toten gelben Beingerippe emporschießen, würden in Fleisch gekleidet werden und sich um ihren König scharen. Jene, die danach getrachtet hatten, in seiner Blutspur zu wandeln, und jene, die zu ihm geflüchtet waren, auf daß er ihnen die Lasten von Sünde und Trauer und Krankheit tragen helfe, an die sie im Leben sich selbst und ihre Kinder gefesselt hatten. Nun drängen sie sich um ihren König und bitten ihn, ihre Not vor Gott darzutun. Herr, höre, was ich für dieses Volk erbitte. So sehr habe ich es geliebt, daß ich mit Freuden Verbannung und Not und Haß und Tod auf mich nahm, damit nur kein Mann oder Weib in Norwegen aufwüchse, ohne von deinem Erlösertod für alle Sünder zu wissen. Herr, der du uns befahlst, hinzugehen und alle Menschen zu deinen Jüngern zu machen - mit meinem Blut schrieb ich, Olav Haraldssohn, deine Botschaft für diese meine armen Untertanen in die norwegische Sprache um ...
    Kristin schloß die Augen, krank und von Schwindel befallen. Vor ihr stand das Antlitz des Königs, seine flammenden Augen sahen bis auf den Grund ihrer Seele - jetzt bebte sie vor Sankt Olavs Blick.
    Dort oben in deinem Tale, Kristin, wo ich weilte, als meine eigenen Landsleute mich aus meinem Erbreich vertrieben, weil sie Gottes Gesetze nicht dulden wollten - wurde dort nicht eine Kirche erbaut? Kamen nicht kundige Männer hin und lehrten euch Gottes Gebote?
    Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren. Du sollst nicht töten. Gott sucht die Sünden der Väter an den Kindern heim. Ich starb, auf daß ihr diese Weisheit erfahren solltet. Hast du sie erfahren, Kristin Lavranstochter?
    Ja, ja, Herr und König!
    Die Olavskirche daheim - sie sah den heimischen balkenbraunen Raum vor sich. Dort war es nicht so hoch bis zum
    Dach, daß einen Schrecken erfüllen konnte. Die Kirche war zu Gottes Ehre treuherzig aus dunklen und geteerten Stämmen errichtet worden, wie die Menschen ihre Wohnhäuser und Ställe und Scheunen bauten. Aber die Stämme waren zu geschmeidigen Stäben zurechtgehauen, und sie waren aufgerichtet und zu Wänden für das Haus Gottes zusammengefügt worden. Und also, das lehrte Sira Eirik jedes Jahr am Kirchweihtag, geziemt es uns, mit den Werkzeugen des Glaubens aus unserem sündigen, natürlichen Menschen ein getreues Glied der Kirche Christi herauszuhauen und zu schnitzen.
    Hast du dies vergessen, Kristin? Wo sind die Werke, die am Jüngsten Tag für dich zeugen sollen als für ein Glied der Kirche Gottes, die guten Werke zum Beweise, daß du Gott angehörst?
    Jesus! Ihre guten Werke. Sie hatte die Gebete gesprochen, die man ihr eingelernt hatte. Sie hatte die Almosen weitergegeben, die ihr der Vater in die Hände gelegt hatte, sie war ihrer Mutter an die Hand gegangen, wenn diese die Armen gekleidet, die Hungrigen gesättigt und die Wunden der Kranken verbunden hatte.
    Die bösen Werke aber waren ihre eigenen.
    Sie hatte sich an alle angeklammert, die ihr Schutz und Stütze boten. Bruder Edvins liebevolle Ermahnungen, seine Trauer über ihre Sünde, seine zärtliche Fürbitte, all das hatte sie angenommen - und hatte sich in brennende Sündenlust hinausgeschleudert, sobald sie außerhalb des Lichtkreises seiner milden alten Augen war. In Ställen und Scheunen hatte sie sich weggeworfen und kaum Scham

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